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«26 Gewerbepolizeien überwachen die Werbung» oder «Ein kleiner Aufwand, der Schaden verhindert»

Herr Glaus, Sie kommentieren seit 1997 in „persönlich“ das Kommunikationsrecht. Inwiefern hat sich die juristische Ausgangslage im letzten Jahrzehnt für die Werber verändert?

 

Sehr stark. Im Bereich der kommerziellen Kommunikation, insbesondere in der Werbung, dominieren drei Tendenzen: Erstens gibt es unter dem Titel „Konsumentenschutz“ eine Regelungsdichte, welche in einzelnen Branchen gestalterisch gute Werbung praktisch verunmöglicht. So ist eine Werbeagentur bei jedem Leasinginserat mit Zinsbezifferung gezwungen, in kleingedruckten Fusszeilen mit einem Beispiel den gesetzlichen Vorschriften Nachachtung zu verschaffen – mit der Folge, das kleingedruckte Fussnoten-Blöcke eingefügt werden müssen, was nicht nur zur Verunstaltung des Inserats, sondern wenig zur Aufklärung der Konsumenten beiträgt. In der Radiowerbung kann man diese Vorschrift gar nicht einhalten, weil es zu unsäglich langen Spots führen würde. Das führt faktisch zu einer Diskriminierung eines Mediums. Eine zweite Tendenz betrifft eine zunehmend grössere Rechtsunsicherheit, weil mit sogenannt „unbestimmten Rechtsbegriffen“ operiert wird. Ein kleines Beispiel: Product-placement ist dann unzulässig, wenn es eine „Schleich-Werbewirkung“ hat. Wer soll nun im Einzelfall abschliessend bestimmen, wo der Werbeeffekt gerade noch zulässig und wo er unzulässig ist?

 

Das heisst, Product-placement darf man nur noch aus karitativen Motiven machen...?

„Auf das Motiv kommt es nicht an, sondern auf die Wirkung in der Umsetzung. Integriertes Product-placement ohne Werbewirkung ist zulässig – auch gegen Entgelt. PP mit Werbewirkung ist verboten. Vorbehalten bleibt das deklarierte Sponsoring von Sendungen. Ich habe dazu im „persönlich“ November 2006 die ganze Problematik dargelegt.

 

Und die dritte Tendenz?

Ich stelle fest, dass die Werbebranche häufiger als früher auf bereits Bestehendes zurückgreift, zitiert, appropriiert, sich anlehnt an Bekanntem, den Ruf eines andern ausbeutet, bisweilen ist es raffiniertes Spiel, bisweilen aber auch plumpes Trittbrettfahren. Das sind heikle Grenzwanderungen – auch juristisch, weil die Verwertungsgesellschaften das Zitatrecht auf das Wortzitat beschränkt haben wollen.

 

Die kreative Eigenleistung hat also deutlich abgenommen?

Für uns Juristen stellt sich die Frage, was ist noch zulässiges Zitat oder zulässiges Spiel mit Vorlagen und wo beginnt die unzulässige Ausbeutung des Rufs eines andern Produkts, also der Imagetransfer, oder gar der Markenrechtsverletzung? Sind Slogans „Lachen, das Saint-Tropez am obern Zürichsee“ oder der Werbespruch einer Garage „Wir haben jede Woche Street-Parade“ überhaupt noch zulässig?“ Gerade in Bezug auf die Markenpflege hat die Streitlust deutlich zugenommen. Es ist widersinnig, wenn eine Lokalzeitung bereits Post von Markenanwälten bekommt, weil sie mit dem Begriff „Olympiade 2000“ eine Leserreise organisiert. Olympiade 2000 ist zwar registriert worden, das Wort selbst ist aber auch ein Gemeinbegriff.

 

Auch bei der Euro 08 wird es zweifelsohne Trittbrettfahrer geben?

Der Bundesrat wollte in Hinblick auf diese Veranstaltung das Ambush-Marketing explizit mit einer Ergänzung des Lauterkeitsrechts verbieten, ist davon aber abgekommen, weil ihm klar gemacht wurde, dass die heutigen Gesetzesbestimmungen genügen, um das eigentliche Parasitentum zu unterbinden. Verboten ist aber nicht jegliche Anspielung auf die Euro – sonst wäre jedes Euro-Brot des Dorfbäckers und jede Euro-Wurst des Dorfmetzgers verboten. Nicht gestattet ist es beispielsweise einem Nichtsponsor, mit einem Zeppelin oder Flugzeug Werbebotschaften des Nichtsponsors über dem Stadion zu verbreiten.

 

Ist der Gesetzgeber gegenüber der Werbewirtschaft skeptischer geworden?

In den siebziger und achtziger Jahren hat sich meines Erachtens ein falsch verstandener Konsumentenschutz breitgemacht. Der Gesetzgeber hat diesem Schutz in einem Mass Rechnung getragen, welcher nicht gerechtfertigt ist, weil die Umsetzung der Bestimmungen auch wenig zum Ziel beiträgt. Dies ist unter künstlerischen Aspekten ein verhängnisvoller Weg – weil er Kreativität und gestalterische Virtuosität erschwert oder gar verhindert. Als Anwalt ist man in der unangenehmen Situation, dass eine künstlerisch erfreuliche Kampagne aus rechtlichen Gründen mit unsinnigen Fussnoten verunstaltet oder abgelehnt werden muss, um ein Restrisiko zu vermeiden. Ich empfehle dabei den Agenturen immer, den Auftraggeber auf diesen Sachverhalt hinzuweisen, um sich juristisch zu entlasten. Gemäss Lauterkeitsgrundsatz 1.7 haftet nämlich die Werbeagentur für die Rechtmässigkeit der Werbeaussage.

 

Betrachtet man den Konsumenten für unmündig?

Leider ja. Selbstkritisch muss man aber einräumen, dass es die Branche, Agenturen und Werbeauftraggeber nicht geschafft haben, den Regulierungsdrang der einseitig von Konsumentenschützern inspirierten Behörden zu bremsen. Der Gesetzgeber hat sich einseitig an den Anliegen des Konsumentenschutzes orientiert und die Interessen der Werbebranche zuwenig gewichtet.

 

Lobbyiert die Branche zuwenig für Ihre Anliegen?

Im Grunde fürchtet sich die Werbebranche noch vor grösseren Eingriffen des Gesetzgebers. Und die Vollzugsbehörden drohen auch damit. Gerade im Bezug auf die Werbeverbote sind die Forderungen der Konsumentenschutzorganisationen noch viel resoluter als der Status quo. Diese Tendenz ist zwar international feststellbar, die Schweiz zeichnet sich aber auch hier dadurch aus, dass sie besonders vorbildlich sein will. Die Werbebranche hat es zudem versäumt, ihre eigene Selbstregulierungspraxis transparent und konsequent zu dokumentieren und zu publizieren. So hätte aufgezeigt werden können, dass der staatliche Regulierungsdrang gar nicht immer gerechtfertigt ist. Diesbezüglich hat der Presserat im Bereich der redaktionellen Kommunikation effektvoller gearbeitet.

 

Wo ist die Regulierungsdichte besonders gross?

In der Pharmabranche herrscht faktisch ein Zensursystem und Publikumswerbung ist ganz verboten. Auch Leasingbranche und Konsumkredite, Alkoholische Produkte – das sind eigentliche Gefahrenzonen.

 

Hat die Streitlust innerhalb der Branche zugenommen?

Wie weit die Interventionen der kantonalen Gewerbepolizeien auf die Streitlust der Branche zurückzuführen sind, ist schwer zu beurteilen. Problematisch ist die Rechtsanwendung deshalb, weil die Vorschriften zwar einheitlich auf Bundesebene geregelt wurden, die Durchsetzung, d.h. Überwachung der Werbung aber bei 26 verschiedenen kantonalen Gewerbepolizeien liegt. Das führt dann dazu, dass eine Plakat-Kampagne mit „O-Prozent-Leasing“, die in Zürich beanstandet wurde und wird, ohne weiteres im Kanton Schwyz oder Kanton St. Gallen weiter eingesetzt werden kann, weil die örtliche Gewerbepolizei dort toleranter ist – oder andere, gewichtigere Problem hat. Ich kenne mehrere solcher Beispiele.

 

Ist das Klima innerhalb der Branche härter geworden?

Das Klima ist in zweifacher Hinsicht härter geworden, dies nicht zuletzt wegen des steigenden Drucks der Auftraggeber bezüglich der Honorierung. Viele Agenturen halten sich aufgrund der Konkurrenzsituation nicht mehr an die Empfehlungen der Verbände, sie lassen sich auf Gratis-Präsentationen und Pitches ein und willigen, dem Druck gehorchend, zum Nulltarif in einen Fullbuyout (volle Rechtsabtretung) ein, d.h. sie treten für das blosse Grundhonorar auch gleich alle Verwertungsrechte ab – soweit dies überhaupt rechtlich möglich ist. In dieser Beziehung sind die Verbände zu Recht aktiv geworden. Früher war die Vertragskultur in den Agenturen vielfach auf einem bedenklichen Niveau. Heute wird professioneller, aber auch härter verhandelt. Die Agenturen versuchen, den grossen Auftraggebern verständlich zu machen, dass nicht irgendwelche Vertragsmuster aus dem Procurement (Beschaffungswege) 1:1 auf Werbeaufträge gestülpt werden können. Leider haben das noch nicht alle Rechtsabteilungen der Gross-Konzerne kapiert. Diese versuchen oft, das von den Frontleuten erarbeitete Vertragswerk nach Procurement-Mustern abzuwickeln und realisieren nicht, dass in der Kommunikationsbranche gar nicht immer alle Rechte eingekauft werden können. So wird die Zusammenarbeit zwischen Werbeagenturen und Auftraggebern häufig durch Rechtsabteilungen getrübt, die wenig vom Business verstehen..

 

Welche Streitfälle haben Sie in den letzten Jahren am meisten geärgert?

Überrascht und auch etwas geärgert hat mich ein Entscheid der Lauterkeitskommission im Bereich der geschlechterdiskriminierenden Werbung. Man könnte auch von einer gewissen Prüderie sprechen. Es ist heute nicht mehr möglich, einen nackten Frauen- oder Männerrücken mit Po-Spalt zu zeigen, welcher für einen Badezimmer-Platten-Hersteller wirbt mit dem Slogan „Wenn Sie mehr sehen wollen, kommen Sie zu uns in die Ausstellung“. Ganz besonders aber ärgern mich jene Streitfälle, die gar nie entschieden werden, weil sich ein Rechtsstreit vom Aufwand her nicht lohnt: Das betrifft die vielen Fälle, in denen Auftraggeber den Agenturen die Ideen klauen – sei es aus Präsentationen, sei es aus früherer Zusammenarbeit, ohne dafür noch etwas zu bezahlen. Als Anwalt muss man aber den Klienten immer auch das Verhältnis von Aufwand und Ertrag vor Augen führen.

 

Welche Fälle freuen Sie am meisten?

Die kleinen Anfragen, die gar nie zu einem „Fall“ werden. Viele Agenturen haben erkannt, dass es sich lohnt, die Werbeidee in einer frühen Phase juristisch überprüfen zu lassen. Das ist ein kleiner Aufwand, der grösseren Schaden verhindern kann.

 

 


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