Journalistische Arbeit ist anspruchsvoller geworden. Grund dafür sind weniger die staatlichen Regulierungen (wie im Werbebereich, siehe „persönlich“ September 2007), sondern die Komplexität der Datenbeschaffung. Insbesondere die identifizierende Berichterstattung führt Journalisten immer wieder auf Glatteis. „persönlich“-Jurist Bruno Glaus zeigt im 2. Teil seiner publizistischen und anwaltschaftlichen Zwischenbilanz die wichtigsten Trends in der Medienberichterstattung auf.
Herr Glaus, in der letzten „persönlich“-Ausgabe zeigten Sie sich enttäuscht über die vielen Restriktionen unter denen die Werbebranche in den vergangenen 10 Jahren zu leiden hat. Gibt es bei den Medien eine ähnliche Entwicklung?
Nein, überhaupt nicht. Die Verlage haben ihre Interessen erfolgreich vertreten, jeglicher Regulierungsdrang ist im Keim erstickt worden. Und wo reguliert wurde, eher zugunsten der Medien: Es gilt in vielen Kantonen und im Bund mittlerweile der „Öffentlichkeitsgrundsatz mit Geheimhaltungsvorbehalt“, während es früher genau umgekehrt war: „Geheimhaltungsgrundsatz mit Öffentlichkeitsvorbehalt“.
Verwaltung und Gerichte müssen soweit als möglich informieren und Einblick in die Akten geben. Und Journalistinnen und Journalisten haben mittlerweile ein verbrieftes Zeugnisverweigerungsrecht. Diese beide Prinzipien haben sich in der Praxis bewährt, was mich ausserordentlich freut.
Aber wiederholt wurden in den letzten Jahren Journalisten von Gerichten verurteilt!
Das hat nicht mit verstärkter Regulierung, sondern mit vermehrter Rechtsdurchsetzung zu tun. Medienopfer lassen sich nicht mehr alles gefallen, und sie wissen, dass sie durchaus Chancen haben, zu ihrem Recht zu kommen. Es gibt neben dem Fall Borer, der mit einem aussergerichtlichen Vergleich und mit einem Presseratsentscheid erledigt wurde, einige wegweisende Fälle, in denen sich Geschädigte erfolgreich gegenüber den Medien durchsetzen konnten. So erkämpfte eine private Wirtschaftshochschule in Horgen vom Kassensturz eine Entschädigung von mehreren hunderttausend Franken wegen unlauterer Berichterstattung. Auch in weniger spektakulären Fällen haben Geschädigte erfolgreich ihre Rechte durchgesetzt. Dies zeigt, dass man den Medien gegenüber nicht rechtlos ist.
Sind die Medien aufgrund der geänderten Gerichtspraxis in den letzten 10 Jahren vorsichtiger geworden?
Einzelne Medien sind sorgfältiger geworden. Auf andere trifft das Gegenteil zu. Und aggressive Medien leisten sich auch meist noch aggressive Anwälte, die hauen dann in der nachbearbeitenden Korrespondenz noch einen drauf. Manchmal ist die verletzende Anwaltskorrespondenz heftiger als die Medienberichterstattung selbst – aber natürlich strahlt sie kaum in die Öffentlichkeit aus.
Wie schätzen Sie dann beispielsweise die Chancen des Zürcher Schönheitschirurgen Peter Meyer-Fürst ein, der gegen das Schweizer Fernsehen wegen Persönlichkeitsverletzung klagt?
Der Einsatz einer versteckten Kamera ist sehr problematisch. Ich habe mich bereits auf persönlich.com kritisch geäussert. Die Information wäre hier auch ohne Einsatz der versteckten Kamera möglich gewesen. Die Namensnennung an sich ist allenfalls zulässig gewesen, ohne Namensnennung wären allenfalls andere Schönheitschirurgen einem Verdacht ausgesetzt worden. Identifizierung dient auch der Entlastung der nicht Belasteten.
Wo besteht Ihrer Meinung nach ein Regelungsbedarf?
„Ein grosses Problem sind die Archive, aus denen abgeschrieben wird. Archivierte Zeitungsberichte geben oft nicht den ganzen und vor allem nicht den aktuellen Stand wieder. Es wird unüberprüft abgeschrieben aus alten Beiträgen, die im SMD oder anderen Medienarchiven gelagert sind. Falsch-Meldungen sind nicht mit Berichtigungen oder Gegendarstellung verlinkt. Das fördert Recycling von Falschmeldungen.
Können sie ein Beispiel nennen?
Ein Unternehmer wurde 1996 im „Cash“ völlig zu Unrecht als „Klumpenrisiko“ einer Regionalbank taxiert. Zehn Jahre später greift eine an sich seriöse Tageszeitung bzw. ihr freier Mitarbeiter auf den archivierten Cash-Artikel zurück, zitiert Cash, und verschärft die Meldung gar noch. Dieses Beispiel zeigt, dass es wichtig ist, sich gegen Falschmeldungen zur Wehr zu setzen, und die Nachschreibung des Archivs zu verlangen. Sowohl unter medienethischen Gesichtspunkten, d.h. nach der Praxis des Presserates, als auch unter datenschutz-rechtlichen Aspekten hat man Anspruch darauf, dass die Originalmeldung elektronisch mit der Berichtigung verlinkt wird. Die meisten Verlagshäuser, insbesondere NZZ und tamedia - tragen diesem Anspruch Rechnung, leider noch nicht alle – hier besteht Regelungsbedarf, wenn die renitenten Verlage nicht selbstregulierend Abhilfe schaffen.
Also eine Löschung des Artikels aus dem Archiv...
Nein, überhaupt nicht. Der fehlbare Artikel sollte nicht vernichtet, aber allenfalls nicht mehr im gleichen Mass zugänglich sein. Und auf alle Fälle müsste er mit Vermerk oder Link auf die Richtigstellung verweisen.
Kann man bei Google oder anderen Suchsystemen stossende Einträge zum Verschwinden bringen?
Technisch soll es möglich sein, das Problem ist die Rechtsdurchsetzung – die Web-Welt ist kein rechtsfreier Raum, aber bis zu einem gewissen Grad ein rechtsdurchsetzungsfreier Raum.
Der Persönlichkeitsschutz schliesst auch das „Recht auf Vergessen“ ein. Wie wird dieses in der Praxis respektiert?
Das Recht auf Vergessen – genau genommen auf Unterlasssen biografischer Wiederaufbereitung "alter Fälle" in den Medien – ist noch kaum bekannt. Immer wieder wird Zurückliegendes recycliert. So outete die Tribune de Genève in der Romandie einen mittlerweile ehrbaren Bürger und Familienvater nach 15 Jahren als Mitglied der sogenannten „Fasel-Bande“, einer auf Raubüberfälle spezialisierten Gang. In der Folge brach der an den Pranger gestellte Mann zusammen, verlor seine Stelle und musste in die Psychiatrische Klinik eingeliefert werden. Die Tribune de Genève wurde daraufhin zur Zahlung einer hohen Schadenersatzsumme und zu einer Genugtuungssume von mehr als 40'000 Franken.
Ins gleiche Kapitel gehört auch die Namensnennung...
Ich registriere immer wieder, dass Medien bei der Namensnennung viel zu offensiv sind, was einerseits zu unnötigen und auch unzulässigen Vorverurteilungen, anderseits aber auch zu grossen Belastungen bei den nächsten Angehörigen führt. Auch auf deren Persönlichkeitsrechte ist Rücksicht zu nehmen. Ich stelle fest, dass die Selbstregulierung der Branche gegenüber solchen Missständen zugenommen hat, was nicht zuletzt der Öffentlichkeitsarbeit des Presserates und seines zurücktretenden Präsidenten Peter Studer zu verdanken ist. Bei der kommerziellen Kommunikation, der Werbung also, gibt es anders als beim Presserat leider noch keine Praxis der ausnahmslosen Veröffentlichung von Selbstregulierungsentscheiden.
Was bedeutet dies konkret?
Im Gegensatz zum Presserat veröffentlicht die Lauterbarkeitskommission die Begründung ihrer Entscheide nur rudimentär im zusammenfassenden Tätigkeitsbericht ( www.lauterkeit.ch ). Ich habe dies – auch im „persönlich“ – wiederholt kritisiert, weil die Marktteilnehmer, Werbeauftraggeber und Agenturen, kaum Zugriff auf die Praxis nehmen können. Die neugewählte Präsidentin Nationalrätin Pascale Bruderer hat nun aber in Aussicht gestellt, dass sie dies ändern will, dass die Kommission ihre Spruchpraxis künftig umfassender publizieren will. On verra. Der Presserat macht es vor (www.presserat.ch).