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Medienfreiheit und Persönlichkeitsschutz

Über die berufsethischen Pflichten der Journalistinnen und Journalisten und die informationellen Selbstbestimmungsrechte Betroffener
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1. Grundsätzliches
Wie jede andere berufliche Tätigkeit in unserer Gesellschaft findet Journalismus nicht in einem rechtsfreien Raum ab. Wo Interessen kollidieren, muss das Recht ausgleichend und regelnd eingreifen. Im Medienbereich kollidiert die Freiheit der Medien mit der Freiheit der Unternehmen und mit den geschützten Interessen und Freiheiten einzelner Personen.

Die Freiheit der Medien ist verfassungsmässig festgeschrieben (Art.55 und 55bis BV), die Freiheit des Einzelnen gegenüber dem Staat ist ein sogenanntes ungeschriebenes Verfassungsrecht (das Recht auf Persönliche Freiheit). Zur Freiheit im privatwirtschaftlichen Verkehr enthält das Zivilgesetzbuch in Art.28 ZGB eine "Generalklausel", welche besagt, dass niemand widerrechtlich verletzt werden darf. Nach Art.27 Abs.2 ZGB sind vertragliche Bindungen im Bereich der Persönlichkeitsgüter (z.B. Recht am eigenen Bild, Recht am eigenen Wort, Recht auf Vergessenheit etc.) zulässig, soweit sie nicht rechtswidrig oder unsittlich sind.

2. Die Pressefreiheit
Die Pressefreiheit ist Teil der verfassungsmässig garantierten (aber nicht festgeschriebenen) Meinungsäusserungsfreiheit. Einen Anspruch auf Informationen seitens des Staates oder gar seitens privater Firmen besteht deswegen nicht. Allerdings "strahlen" die verfassungsmässig garantierten Recht ins Privatrecht aus (sogenannte mittelbare Drittwirkung). Journalisten dürfen recherchieren, ja sie müssen recherchieren. Dies hat das Bundesgericht in einer konstanten Rechtsprechung seit 1911 festgehalten. Die Aufgabe der Presse besteht laut Bundesgericht darin, "dem Leser bestimmte, die Allgemeinheit interessierende Tatsachen zur Kenntnis zu bringen, ihn über politische, ökonomische, wissenschaftliche, literarische und künstlerische Ereignisse aller Art zu orientieren, über Fragen von allgemeinem Interesse einen öffentlichen Meinungsaustausch zu provozieren, in irgendeiner Richtung auf die praktische Lösung eines die Oeffentlichkeit beschäftigenden Problems hinzuwirken, über die Staatsverwaltung und insbesondere über die Verwendung der öffentlichen Gelder Aufschluss zu verlangen und allfällige Missbräuche im Gemeinwesen aufzudecken"(BGE 37 I 388).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) räumt der Pressefreiheit einen besonders hohen Stellenwert ein, vorallem dort, wo Journalisten Werturteile über Personen mit öffentlicher Funktion fällen (bei Tatsachenbehauptungen besteht grundsätzlich eine Wahrheitspflicht). Der EGMR hielt in einem Entscheid aus dem Jahre 1991 folgendes fest: "Ganz allgemein gehört die Freiheit der politischen Diskussion zum Kernbereich des Begriffs einer demokratischen Gesellschaft...Die Grenzen zulässiger Kritik sind daher bezüglich eines in seiner öffentlichen Funktion auftretenden Politikers weiter als bezüglich einer Privatperson".

Die Printmedien sind freier als die elektronischen Medien (unterschiedliche Verfassungsartikel). Die einen sind ganz einfach frei, die andern haben - der beschränkten Frequenzen wegen - einen Leistungsauftrag: "Radio und Fernsehen tragen zur kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung sowie zur Unterhaltung bei. Sie berücksichtigen die Eigenheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck"(Art.55bis BV). Es gibt in der Schweiz keine Pressegesetze, hingegen ausführliche Bestimmungen zur Radio- und Fernsehlandschaft im Bundesgesetz über Radio und Fernsehen vom 21.6.1991 und in der Verordnung dazu (RTVV vom 16.März 1992).

3. Die Pflichten der Medien
Nach Art.55 BV ist die Presse (ohne Qualitäts- und Leistungsauftrag) frei. Dies im Unterschied zu den elektronischen Medien. Insbesondere sind Presseschaffende nicht zur Ausgewogenheit und zur (an sich wünschbaren) Trennung von Fakten und Kommentar verpflichtet. Auch Presseschaffende unterstehen aber einer allgemeinen Sorgfaltspflicht und berufsethischen Grundsätzen, welche im Branchenkodex konkretisiert worden sind. Ein Branchenkodex gibt das wieder, was allgemein als berufsethischer Mindeststandard gewertet werden kann. Obwohl die Schweizer "Erklärung" nicht von einer Anhörungspflicht Betroffener spricht, ist dies eine der grundlegendsten Sorgfaltspflichten der Journalistinnen und Journalisten (Beilage: "Erklärung").

4. Wichtige gesetzliche Schranken
Was im Einzelfall widerrechtlich ist, muss aufgrund von Spezialgesetzen, Gerichtspraxis, Gepflogenheiten und Standesrichtlinien beurteilt und entschieden werden. Zahlreiche Gesetze schützen Aspekte der Persönlichkeit. Es sind dies:

• Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb(UWG): schützt die wirtschaftliche Persönlichkeit (Teil Zölch).

• Das Datenschutzgesetz: garantiert das sogenannte "informationelle Selbstbestimmungsrecht", das Selbstdarstellungsrecht jedes Einzelnen, d.h. jede natürliche oder juristische Person kann grundsätzlich selbst entscheiden mit welchen Worten oder Daten sie sich öffentlich manifestieren will (Ausnahmen gibt es bei den Personen des öffentlichen Lebens und überall dort, wo ein klar überwiegendes Interesse das Recht auf Selbstdarstellung überwiegt).

• Das Urheberrechtsgesetz (Teil Zölch) Es schützt Werke, welche eine originäre, individuelle Kreativleistung enthalten (was ausnahmensweise auch einmal auf einen PR-Text zutreffen könnte). SUISA, ProLitteris und suissimage sind kollektive Verwertungsgesellschaften und beruhen auf dem Zusammenschluss von Urhebern und Rechtsinhabern zur gemeinsamen Verwaltung von Rechten. Erlaubt ist das Verwenden von Werken zum Eigengebrauch, (Kopieren) und das Zitieren von Werksteilen mit Quellenangabe sowie die Berichterstattung über aktuelle Ereignisse. Aber aufgepasst: Auch Texte, die nicht urheberrechtlich geschützt sind, geniessen einen Schutz. Aufgrund des informationellen Selbstbestimmungsrechts dürften Texte nicht entstellt, aus dem Zusammenhang gerissen oder blosstellend verwendet werden. Ein PR-Text oder Leserbrief darf nur soweit gekürzt oder verändert werden, als der Grundgehalt nicht verstümmelt wird.
• Das Bundesgesetz über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben
• Das Bundesgesetz betreffend die Erfindungspatente
• Das Strafgesetzbuch (Teil Zölch): stellt besonders gravierende Persönlicheitsverletzungen unter Strafe. Deswegen können aber die zivilrechtlichen Ansprüche (die defensiven "Abwehransprüche" und die reparatorischen Schadenersatzansprüche) trotzdem geltend gemacht werden.

5. Die Branchen-Richtlinien
Neben den Gesetzen wird auch auf die Codices der Branchen abgestellt. Wichtigstes Dokument neben der bereits erwähnten "Erklärung über die Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten" sind die Richtlinien der Schweizerischen Kommission Medientransparenz (SKM). Dieser Kommission sind alle Presse-, Werbe- und Journalistenverbände (mit Ausnahme der SJU) angeschlossen. In diesen Richtlinien wird genauer umschrieben, was unlautere Werbe- und Wettbewerbsmethoden im redaktionellen Teil sind. Die wichtigstgen Grundsätze im PR-Bereich lauten:

• Wahrung von Freiheit und Autonomie der Redaktion

• Kennzeichnung und Erkennbarkeit kommerzieller Kommunikation

• Verbot der Schleichwerbung

• Verbot der Koppelung von kommerzieller Kommunikation mit redaktionellen Beiträgen

• Transparenz bei Sponsoring, Product Placement, Sonderbeilagen und Werbereportagen

Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist zu einem eigentlichen Stolperstein für Medien und PR-Fachleute geworden. Verboten sind nicht nur alle "unnötig verletzenden Aeusserungen" über andere Wettbewerbsteilnehmer, sondern auch die Begünstigung von Dritten (indem Medien zum Beispiel einem Produkt oder einer Firma übermässig Raum und Spielraum im redaktionellen Text einräumen).

6. Der allgemeine Persönlichkeitsschutz
Das Zivilgesetzbuch sagt nicht genau, was eine Persönlichkeitsverletzung ist. Art.28 enthält lediglich eine "Blankettnorm". Es gilt der - neu auch im Datenschutzrecht festgehaltene - Grundsatz, dass nur bei Personen der Zeitgeschichte und des öffentlichen Lebens ein überwiegendes Interesse an Text- und Bildberichterstattung im redaktionellen Teil angenommen werden kann. Bei andern Personen braucht es in der Regel die Zustimmung, wenn man Aussagen oder Bilder von ihnen veröffentlichen will. Dies gilt für den redaktionellen Teil, noch viel mehr aber für Werbemittel.

Es ist Aufgabe der Gerichte, einzelfallbezogen das Schutzbedürfnis und den Schutzumfang der Persönlichkeit zu bestimmen. Im Laufe der Jahre haben sich namentlich folgende Persönlichkeitsrechte herauskristallisiert (nicht abschliessende Aufzählung) :

das Recht am eigenen Bild: Nur Bilder von Personen des öffentlichen Lebens dürfen zu Informationszwecken veröffentlicht werden, für Werbezwecke ist aber auch von Personen des öffentlichen Lebens die Zustimmung einzuholen.

das Recht an der eigenen Stimme: heimliche Tonbandaufnahmen sind verboten, die Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation soll gewährleistet sein.

das Recht am eigenen Wort: Soweit Worte überhaupt veröffentlicht werden dürfen, müssen sie korrekt wiedergegeben werden (Verbot sinnentstellender Kürzungen).

das Recht am eigenen Lebensbild: Medien und Autoren dürfen Firmengeschichten oder Lebensgeschichten nicht beliebig zu Roman- oder Filmvorlagen verwenden.

das Recht auf Vergessen: Im Gegensatz zu absoluten Personen der Zeitgeschichte, haben relative Personen der Zeitgeschichte, d.h. solche die nur vorübergehend Schlagzeilen machten, ein Recht auf Vergessen (Fall Iriniger: Lebensgeschichte des Mörders durfte von den Medien nicht wiederaufgewärmt werden).

das Recht auf Pietätsschutz bei Angehörigen: Angehörige können geltend machen, ihre eigene Gefühlswelt würde in unzulässiger Weise verletzt, wenn Privates oder Vergessenes öffentlich würde (Fall Irniger).

das Recht auf Achtung der Privatsphäre (in räumlicher Hinsicht und in sachlicher Hinsicht). Man unterscheidet die Intimsphäre (sollte bei allen Personen geschützt sein), die Gemeinsphäre (es handelt sich hier um den halbprivaten Bereich, welcher bei Personen der Zeitgeschichte und des öffentlichen Lebens) von öffentlichem Interesse sein kann) und die eigentliche Oeffentlichkeitsphäre (all das, was sich in gewollter Oeffentlichkeit abspielt)

das Recht auf Schutz der Ehre und des guten Rufs (nicht zu verwechseln mit dem strafrechtlichen Schutz gegen Ehrverletzungen, welcher nur den Ruf schützt, ein ehrenwerter Mensch zu sein. Der Persönlichkeitsschutz umfasst aber auch das berufliche und gesellschaftliche Ansehen)

das Recht auf Wahrheit: Niemand muss sich unwahre Tatsachenbehauptungen gefallen lassen (das Bundesgericht lässt allerdings Fehler im Detail zu, soweit der Betroffene "nicht in einem falschen Licht" erscheint.

das Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Jeder Mensch bestimmt seinen sozialen Geltungsanspruch selbst (Verankerung im Datenschutzgesetz, welches sich nicht nur auf die Datenbanken, sondern auf jede Bearbeitung und Veröffentlichung personenenbezogener Daten (oder beispielsweise Zitate) bezieht.

Strafrechtlicher Schutz besteht unter anderem gemäss Art.173 ff.StGB gegen üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung und nach Art.179 ff. StGB gegen heimliche Tonband- und Bildaufnahmen im Geheim- oder Privatbereich und nach Art.160 StGB gegen Kreditschädigung.

7. Die Beschwerdemöglichkeiten
Gegen konzessionsverletzende Berichterstattungen in Radio und Fernsehen kann Beschwerde erhoben werden bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (mit vorgängigen Vermittlungsverfahren vor der Ombudsstelle und nachträglicher Beschwerdemöglichkeit an das Bundesgericht,), gegen persönlichkeitsverletzende Berichten in den Printmedien muss der normale Gerichtsweg beschritten werden, es sei denn, man entscheide sich für eine Eingabe vor den Presserat, eine Beschwerdeinstanz der Journalistenverbände ohne eigentliche Sanktionsmöglichkeiten. Auch an die Schweizerische Kommission Medientransparenz (SKM) können Beschwerden erhoben werden wegen Verletzung der SKM-Richtlinien, d.h. bei unlauterem Wettbewerb.

Das Gegendarstellungsrecht (eingehender im Teil Zölch) gemäss Art.28g ZGB gilt sowohl gegenüber Printmedien wie auch gegenüber Radio und Fernsehen. Voraussetzung ist hier nicht eine Persönlichkeitsverletzung, es genügt, dass eine Persönlichkeit betroffen ist. In einer Gegendarstellung kann allerdings einer Tatsachenbehauptung lediglich wertneutral eine Gegenbehauptung gegenübergestellt werden.

Die Medien haften zivilrechtlich für die Aussagen von Dritten (solidarische Haftung des Verbreiters). Strafrechtlich gilt die Kaskadenhaftung, welche vom Verfasser bis zum Drucker verläuft.

8. Die Vertragsfreiheit und der Interviewvertrag
Teil des informationellen Selbstdarstellungsrechts ist die Vertragsfreiheit. Wer Auskunft geben will, kann in einem bestimmten Ausmass Bedingungen stellen:

• Der Zweck der Recherche muss bekannt gegeben werden
• Die Kernaussagen zum Schwerpunktthema müssen veröffentlicht werden
• Die (in indirekter oder direkter Rede) ausgewerteten Aussagen des Interviewten müssen vor der Publikation zur Sachkorrektur vorgelegt werden (das ist schwieriger bei elektronischen Medien und im Zeitalter des Fax leicht bei Texten)

Nur bei ausdrücklichem Vorbehalt können einzelnen Aussagen ganz widerrufen werden. Unzulässig wäre ein völliges Umschreiben des Interviews. Grundsätzlich gilt der Vorbehalt des Gegenlesens nur der Sicherstellung einer tatsachengetreuen Widergabe des Gesprächs und der korrekten Umformulierung in die Schriftsprache. Kraftausdrücke können widerrufen werden, wenn sie den Interviewten in einem zweifelhaften Licht erscheinen liessen.

Der Interessensausgleich zwischen freier Presse und freien Menschen wird im besten Fall durch klare vertragliche Abmachungen zwischen den Beteiligten erzielt: Das Festlegen von Spielregeln und das Formulieren von Erwartungshaltungen (mit kurzer schriftlicher Bestätigung per Fax oder Modem) kann manchen Konflikt verhindern. Der Presserat hat im Fall "Cottier" Spielregeln zum Interview festgelegt, welche zum Teil das wiedergeben, was juristisch als "Verkehrssitte" bezeichnet werden kann (Beilage). Verkehrssitten gelten, wenn sich die Parteien nicht ausdrücklich zu einer Frage geäussert haben.

 

von Dr. iur. Bruno Glaus


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