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Irren und Wirren einer Bürgerversammlung

„Was die Gemeindeversammlung betrifft, so zeigt sich das Bild eines eher wirren Ablaufs in einer angespannten Atmosphäre.“ Mit dieser wenig löblichen Zusammenfassung brachte das Bundesgericht in einem Entscheid aus dem Jahr 2017 seinen Eindruck zu einer im Streit liegenden Bürgerversammlung auf den Punkt.

Auch bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts fand das Bundesgericht klare Worte. Im Hinblick auf die bevorstehenden Bürgerversammlungen sollen diese in Erinnerung gerufen werden. Streitgegenstand war im erwähnten Fall die Frage, zu welchem Zeitpunkt Mängel der Bürgerversammlung beanstandet werden müssen, um später ein Rechtsmittel gegen Beschlüsse ergreifen zu können.


Die Antwort des Bundesgerichts fällt praxisnah aus: Betrifft der Mangel Vorbereitungshandlungen im Vorfeld einer Abstimmung (z.B. einen Fehler im Abstimmungsbüchlein), so sind diese unverzüglich anzufechten. Dies aus der Überlegung, dass eine Wiederholung der Abstimmung möglichst vermieden werden soll. „Unverzüglich“ heisst gemäss sankt gallischem Recht innert vierzehn Tagen seit Bekanntwerden des Mangels. Tritt der Mangel erst während der Versammlung auf, so muss dieser sofort (d.h. vor Ort) geltend gemacht werden, sofern dies unter den gegebenen Umständen zumutbar ist.


Bei Rügen betreffend den formellen Ablauf einer Bürgerversammlung trifft Letzteres regelmässig zu: Die grundsätzliche Zumutbarkeit einer Intervention bei Verfahrensmängeln attestiert das Bundesgericht „auch Nichtjuristen und in Verfahrensfragen wenig erfahrenen Stimmberechtigten“. Wer also beispielsweise die Unterbrechung einer Wortmeldung oder die angeordnete Reihenfolge der Wortmeldungen beanstanden will, der muss vor Ort Einsprache erheben, spätestens unter Varia oder Umfrage.


Demgegenüber kann eine Intervention betreffend inhaltliche Ausführungen der Gemeindevertreter viel eher unzumutbar sein. Es kann von einem Stimmberechtigten nicht verlangt werden, den völlig aussichtslosen Antrag an den Gemeinderat zu stellen, dieser möge die Unrichtigkeit seiner eigenen Ausführungen feststellen. Eine inhaltliche Beanstandung einer Äusserung würde aber genau darauf hinauslaufen. Ergo: sofortige Intervention nicht zumutbar. Dasselbe gilt, wenn die strittige inhaltliche Fehlerhaftigkeit der gemeinderätlichen Argumente bereits von anderen Stimmberechtigten geltend gemacht worden ist. Es würde einem Leerlauf gleichkommen, sich mit bereits beanstandeten Punkten aus formellen Gründen erneut auseinandersetzen zu müssen. Eine Abstimmungsbeschwerde kann in solchen Fällen daher innert vierzehn Tagen seit Annahme des angefochtenen Beschlusses oder seit unbenutztem Ablauf der Referendumsfrist erhoben werden, ohne dass vorgängig das (wirre) Treiben der Bürgerversammlung zwecks Intervention unterbrochen werden müsste.


von MLaw Severin Gabathuler, publiziert im Sarganserländer