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"Wir wollen kein Blut sehen"

75 Jahre Verband Schweizer Werbewirtschaft (SW), 30 Jahre Lauterkeitskommission — die Schweizer Werbewirtschaft hat Grund zum Feiern. Zum Anlass der Jubiläen sprach Bruno Glaus mit einem der Jubilare: Der Jurist Hanspeter Marti ist ebenfalls seit 30 Jahren Sekretär und Geschäftsführer der Lauterkeitskommission.


Am 19. Mai hat der Verband der Schweizer Werbewirtschaft SW (Schweizer Werbung) unter dem neuen Präsidenten Carlo Schmid, sein 75jähriges Bestehen an jenem Ort gefeiert, wo seinerzeit die Gründungsversammlung stattgefunden hat: im Zunfthaus zur Meisen in Zürich. Das wohl bedeutendste Werk der SW ist die "Stiftung der Schweizer Werbewirtschaft für die Lauterkeit in der Werbung" mit ihrer Schweizerische Lauterkeitskommission, welche Ende Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiern kann. Sekretär und Geschäftsführer der Lauterkeitskommission ist seit ebenfalls 30 Jahren der Jurist Hanspeter Marti. Herr Kollege, die SW ist 75jährig, die LK erst 30jährig. Ist unlautere Werbung ein Kind der Hochkonjunktur?

Die gesamte Frage der Lauterkeit beschäftigte die SW seit den Gründungsjahren. Neben dem Prüfungswesen und der Interessenvertretung auf politischer Ebene war die Branchenselbstregulierung von Anfang an ein Standbein des Vereins. Aus den Protokollen geht hervor, dass das SW-Sekretariat schon vor dem zweiten Weltkrieg Beschwerden wegen unwahrer, irreführender oder herabsetzender Werbung behandelt hat, dass aber der damalige Geschäftsführer Kurt Giezendanner deswegen verbandsintern oft zwischen die Fronten geriet.

Aber erst 1966 als die Internationalen Handelskammer die Richtlinien für die Werbepraxis erliess, schuf die SW (damals noch Schweizerischer Reklameverband) ein verbandseigenes "Ehrengericht", welches schon nach wenigen Monaten den Namen "Kommission zur Überwachung der Lauterkeit in der Werbung" bekam. Die SW führte die Lauterkeitskommission wie die Prüfungskommission und die Redaktionskommission für "Werbung/Publicité" als Verbandskommission. Aber erst in den 70-er Jahren, unter dem Präsidium von "Fäntsch" Farner, wurde die Kommission als Stiftung konstituiert und somit SW-unabhängig.

Die SW stellt aber noch immer die meisten Vertreter im Stiftungsrat?

Die SW zahlt noch immer den grössten Jahres-Beitrag, nämlich 72000 Franken, an das Budget der "Schweizerischen Lauterkeitskommission" in der Höhe von insgesamt etwas mehr als 200'000 Franken. Je grösser der jährliche Beitrag, desto mehr Sitze. An zweiter Stelle folgt die Förderungsgesellschaft für die Lauterkeit in der kommerziellen Kommunikation mit 24000 Franken. Die andern angeschlossenen Verbände (Stifter) zahlen jährlich je 8000 Franken, die beiden Branchenverbände ASW und BSW steuern allerdings nur gemeinsam 8000 Franken bei.

Die Lauterkeitskommission stützt sich in ihrer Arbeit auf die Richtlinien der Internationalen Handelskammer, auf die ihre eigenen Grundsätze, welche sie im Laufe der Jahre entwickelt hat und auf die nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung. Gemäss Grundsatz 1.1 der LK umfasst kommerzielle Kommunikation "sämtliche Formen von Werbung, Direktmarketing, Sponsoring, Verkaufsförderung und Öffentlichkeitsarbeit". Werbung ist nach Massgabe der Internationalen Richtlinien für die Werbepraxis und des Wettbewerbsrechts "jede Massnahme von Konkurrenten oder Dritten..die eine Mehrheit von Personen systematisch in ihrer Einstellung zu bestimmten Waren, Werken, Leistungen oder Geschäftsverhältnissen zum Zweck des Abschlusses oder der Verhinderung eines Rechtsgeschäftes beeinflussen". Könnte — nach diesen Bestimmungen — das folgende Beispiel der Lauterkeitskommission unterbreitet werden: Der Cirque du Soleil ärgert sich darüber, dass nach seinem Programm "Allegria" der kleine Schweizer Zirkus Balloni mit einem Programm "Allergia" (mit Hahn statt Taube im Werbeauftritt) auf den Markt kommt.

Balloni könnte an die LK gelangen, muss aber nicht. Es wären zwei Bereiche angesprochen: Die Frage der Lauterkeit und die Frage des geistigen Eigentums. Zwar behandeln wir primär die lauterkeitsrechtlichen Aspekte, aber Bestandteil des Lauterkeitsrecht sind auch Fragen des geistigen Eigentums. Verboten sind unlauter vergleichende und unlauter nachahmende Werbung. Zur unlauter vergleichenden Werbung zählt nicht nur die unrichtige, die irreführende oder die unnötig verletzende Werbung, sondern auch die unnötig anlehnende Werbung, wenn sie in der Absicht erfolgt, sich den guten Namen oder Ruf eines andern Werbetreibenden zunutze zu machen (Grundsatz 3.5 Ziffer 4). Nach LK-Grundsatz 3.7 ist die Nachahmung werblicher Gestaltung auch dann unlauter, wenn sich die Nachahmung nur auf einzelne, aber wesentliche Elemente des Werbemittels bezieht.

Damit haben Sie wie vereinbart - in keiner Weise materiell für oder gegen eine Partei Stellung genommen, das Beispiel soll lediglich illustrieren, dass die beiden Zirkusunternehmen die LK hätten anrufen können. Illustrieren wir die Tätigkeit an einem weiteren Beispiel: Zwei Verlagshäuser führen im Zürcher Oberland seit vielen Jahren ein Inserate-Kombi unter dem Titel "Kombi Züri-Ost". Über Nacht erscheint im gleichen geografischen Gebiet ein "Züri-Ost-Anzeiger" eines bislang unbekannten Herausgebers. Bei der Inserate-Akquisition kommt es wiederholt zu Verwechslungen. Können die beiden alteingesessenen Verlagshäuser an die LK gelangen.

Wie erwähnt umfasst unsere Tätigkeit das gesamte Feld der kommerziellen Kommunikation. Auch in diesem Fall würden wir prüfen, ob das Vorgehen als unlauter taxiert werden muss oder nicht.

In beiden Beispielen könnten die Beschwerdeführer aber auch über die ordentlichen Gerichte ihr Recht suchen. Welche sind die Vorzüge eines Beschwerdeverfahrens vor der Lauterkeitskommission?

Die Lauterkeitskommission arbeitet viel schneller als ein staatliches Gericht, und wir sind effizienter, weil wir die direkten Kontakte zu den Branchen haben und direkt auf das Branchen-Know-How zurückgreifen können. Das Verfahren ist unentgeltlich — Parteikosten vorhalten. In spätestens drei Monaten liegen in der Regel unsere Beschlüsse vor. Wir entscheiden nicht, wir beschliessen: "Der Beschwerdegegner wird ersucht......", heisst es im Beschluss. Die Fehlbaren nicht bestraft oder stigmatisiert, sondern belehrt. Wir wollen kein Blut sehen.

Die LK kann demzufolge lediglich die Unlauterkeit feststellen, aber kein vollstreckbares Gestaltungs- oder Leistungsurteil fällen. So konnte die Lauterkeitskommission beispielsweise im Fall "Helvetisches Münzkontor, Göde GmbH" nicht über die zivilrechtlichen Ansprüche der getäuschten Münzensammler entscheiden. Das zeigt doch, dass die LK teilweise mit stumpfen Waffen kämpft, weil sie keine Sanktionsmöglichkeiten hat.

Keineswegs. Einerseits können wir Strafanzeige erstatten, wo es sich um Offizialdelikte handelt, wir könnten aber als Branchenverband auch selbst klagen (Art. 10 lit.a und b UWG. weil wir uns statutarisch auch dem Schutz der Konsumenten verpflichtet haben. Wo ausländische Firmen von der Basis Schweiz aus zum Schaden ausländischer Konsumenten operieren, kann schliesslich auch der Bund klagen, weil dies dem Ansehen der Schweiz im Ausland schadet (Art.10 lit.c UWG). Parallel dazu oder stattdessen können wir zu den selbstkontrollrechtlichen Sanktionen schreiten, insbesondere zur Publikation des Tatbestandes....

Was wiederum nicht ganz unproblematisch ist für die Kommission, weil das "An-den-Pranger-Stellen" wiederum eine unlautere Methode sein könnte...

Wir hatten tatsächlich Probleme. Wir müssen verhindern, dass wir wegen unlauterem Wettbewerb ins Recht gefasst werden. Deshalb haben wir in letzter Zeit von einer Publikation abgesehen, dies auch deshalb, weil die Publikation oft kontraproduktiv war und andere gar noch zur Nachahmung angeleitet wurden. Unsere härteste Massnahme ist der Boykott: Wir können die Mediaanbieter ersuchen, die von uns missbilligte unlautere Werbung nicht mehr entgegenzunehmen. Nur im Direktmarketingbereich sind wir machtlos, vorallem dort, wo mit anonymen Postfach-Absendern gearbeitet wird. Wir stehen allerdings kurz vor einer Vereinbarung mit der Post, mit der SECO und mit den Handelsregisterbehörden, um in diesem Bereich Ordnung zu schaffen. Postfächer, welche für unlautere Werbemethoden eingesetzt werden, müssen künftig offengelegt werden — das ist ein typisch schweizerisches, vorbildliches gemeinsames Vorgehen. Es schafft zwar nicht alle Probleme aus der Welt, aber es hilft fürs Erste.

Wird eine Beschwerde als gegenstandlos abgeschrieben, wenn ein Beschwerdegegner nach Eingang der Beschwerde sein Tun einstellt?

Früher war dies — auch aus arbeitsökonomischen Gründen — der Fall. Verleger operierten in ihrer Werbung eine Zeit lang recht häufig mit dem Abbild berühmter Persönlichkeiten. Wenn eine Beschwerde einging, hiess es, wir sollten das Verfahren einstellen, die Werbung sei unverzüglich nach Eingang der Beschwerde abgebrochen worden. Seit aber das EMD im Namen abgebildeter Offiziere erfolgreich gegen eine Einstellungsverfügung an den Geschäftsprüfungsausschuss (das ist das Plenum ohne die Mitglieder der entscheidenden Kammer) rekurriert hat, können sich fehlbare Werbetreibende nicht einfach löffeln und dann ist die Beschwerde erledigt (Filzentscheid gegen SonntagsZeitung. Seit dem "Filz-Fall" hat man die Lauterkeitskommission auch nach einem Absetzen der Werbung am Hals.

Gehen die Grundsätze der Lauterkeits-Kommission über die gesetzlichen Normen hinaus, erfassen sie — ähnlich wie die Stellungnahmen des Presserats — das Verhalten auch unter ethischen Gesichtspunkten.

Nein, wir gehen nicht weiter als das Schweizerische Recht. Es gibt Abweichungen in der Interpretation. So verlangen wir beispielsweise für unlauteres Verhalten nicht eine Verletzung kennzeichnungskräftiger Aussagen.

Ist die Lauterkeitskommission auch beratend tätig?

Nein, wir sind keine Rechtsauskunftsstelle, wir beurteilen Werbung nur aufgrund von Beschwerden, Werbung allerdings in einem weiten Sinn verstanden. Auch Allgemeine Geschäftsbedingungen können wir auf Unlauterkeit überprüfen, insbesondere soweit diese den in Art. 8 UWG explizit erwähnten Tatbeständen entsprechen, d.h. ungewöhnlich oder völlig unausgewogen, aber auch wenn Wichtiges unleserlich oder an ungewöhnlicher Stelle genannt wird. Das trifft gelegentlich auf die Gewinnbedingungen bei Gewinnspielen zu.

... die doch in den letzten Jahren enorm zugenommen haben.

Richtig, ohne Gewinnspiel verkauft sich heute schwer. Mit Gewinnspielen werden Verkaufserfolge über 10 Prozent erreicht, ohne Gewinnspiele unter 5 Prozent...

 

...was auch in einer steigenden Anzahl Beschwerden zum Ausdruck kommt. Ein Blick in die Statistik über www.lauterkeit.ch download Tätigkeitsbericht zeigt, dass die Gewinnspiel-Beschwerden rasant angestiegen und innert fünf Jahren zum eigentlichen Spitzenreiter avanciert sind.

Das trifft zu. Wir behandeln rund 200 Beschwerden. Davon gingen 1999 fast 50 auf das Konto Gewinnspiele.

Welche andere Schwerpunkte stechen weiter hervor?

Auch der transnationale Verkehr hat boomartig zugenommen. Weil die Firmen in Frankreich die Pflicht haben, mit richtigem Namen und richtiger Adresse zu operieren, weichen sie auf die Schweiz aus, wenn möglich noch über ein Postfach. Wahrsagerinnen, die sich über Lizenzen vermarkten und computergesteuerte Horoskope vermarkten, verstecken sich hinter Begriffen wie "Astroforce", "World Center" etc. Im transnationalen Werbemarkt gelten Wild-Westmethoden: Schweizer Versandfirma opperiert per Massenversand PP ab Lugano nach Schottland, von wo die Teilnahmescheine für das Gewinnspiel nach Amsterdam eingesandt werden müssen. Nach Schweizerischer Rechtsauffassung sind wir in diesem Fall nicht zuständig, weil bei uns nicht das Herkunftsprinzip gemäss EU-Recht, sondern das Auswirkungsprinzip gilt.

Zuständigkeit und Anwendbares Recht müssen unterschieden werden: Wer ist in diesem Fall zuständig zur Behandlung der Beschwerde und welche Rechtsordnung kommt zur Anwendung?

Marti:.............................................

Solange keine einheitliche Rechtsordnung besteht, kann nur das Auswirkungsprinzip gelten und Sinn machen. Das sehen mittlerweile auch die EU-Staaten ein. Wir sind zuständig für die Werbung, die aus der Schweiz kommt, aber anwendbar ist das Recht, wo sich die Werbung auswirkt.

Müsste Ihrer Auffassung nach der Gesetzgeber in der Schweiz im Bereich der Werbung weiter legiferieren und Lücken schliessen?

Ich habe grundsätzlich Bedenken gegen eine weitere Regulierung. Allenfalls müsste — vorallem bei Gewinnversprechen - die Beweislastumkehr durchgesetzt werden, damit der Konsument seine Rechte besser vor den Zivilgerichten durchsetzen kann. Das Problem ist generell der Vollzug, nicht die Normierung. Solange die Kantone für den Vollzug zuständig sind, wird es im Vollzug Probleme geben. Wer hat im Kanton Obwalden schon von einer Preisangabe-Verordnung gehört.

Mit dem Internet-Zeitalter werden die Vollzugsprobleme nicht kleiner. Professor Rehbinder hat einmal gesagt, das Internet sei nicht rechtsfreier Raum, aber vielleicht ein rechtsdurchsetzungsfreier Raum.

Das ist so, wir werden die Probleme letztlich nur durch internationale Kooperation in Griff bekommen. Mit dem Internet haben die Probleme mit Plagiaten, mit der Verwechslungsgefahr und mit der Namenanmassung (z.B. Domain-Grabbing), aber auch mit unwahren, irreführenden, herabsetzender oder anlehnender Werbung ein neue Dimension erhalten.

Wie weit hat sich die Lauterkeitskommission bereits damit befassen müssen?

Bis heute noch nicht. Aber dies wird eine Frage der Zeit sein.

Vorallem auch im Bereich der Links bewegen wir uns in einem Wilden Westen!

Ich kann mir gut vorstellen, dass dies ohne Zustimmung der Betroffenen keine lautere Methode ist. Aber darüber muss die LK erst beschliessen.

 

von Dr. iur. Bruno Glaus


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