Was nicht gefällt, muss nicht Mangel sein. Je grösser die Gestaltungsfreiheit, desto geringer die Anfälligkeit auf "Werkmängel" im rechtlichen Sinn. Was mangelhaft ist und was nicht zeigt die 2. Folge der "persönlich"-Serie zur Mängelhaftung der Kunstschaffenden und Kreativen.
"Que plus la liberté laissé à l’entrepreneur est grande, plus le contrôle du maître quant à la conformité de l’ouvrage avec ce qu’il en attendait est réduit", schreibt das Bundesgericht (BGE 115 II 54). Oder anders ausgedrückt: Je grösser die Gestaltungsfreiheit eines Künstlers oder kunstschaffenden Kreativen ist, desto geringer ist die Anfälligkeit des abgelieferten Werkes, einer Mängelrüge ausgesetzt zu sein. "Zu beachten bleibt allerdings, dass die Gestaltungsfreiheit auch stillschweigend beschränkt sein kann, weshalb der Bestellter eines Gemäldes, das seine Trakenerstute wiedergeben sollte, von einem Maler mit bekannterweise naturalistischem Malstil erwarten durfte, dass die rasseeigentümlichen und individuellen Merkmale der Stute erkennbar wären" (Gauch, Der Werkvertrag, Zürich 1996, Rz 1474).
Werkträger kann mangelhaft sein
Es sei zu weiter zu beachten, schreibt der Autor an gleicher Stelle, dass ein unkörperliches Werk im Sinne des Werkvertragsrechts dauernde Gestalt in einem "Werkträger" annehme, weshalb der Mangel auch die Beschaffenheit dieses Werkträgers betreffen könne: "So ist der Plan eines Architekten z.B. mangelhaft, wenn er vertragswidrig auf minderwertigem Papier oder unsauber gezeichnet wurde. Oder das bestellte Proträt ist mangelhaft, wenn die verwendete Farbe vertragswidrig abblättert".
Das Fallbeispiel aus der Praxis
Unternehmen (Werbeauftraggeber) gibt einen Produkte-Katalog (Kunstkatalog) in Auftrag. Die mit der Gestaltung und Produktion beauftragte Werbeagentur lässt die Registerblätter bei einer Kleindruckerei drucken. Nach ersten Auslieferungen des Produktekatalogs zeigt sich, dass die im Offsetverfahren bedruckten Registerblätter abschmieren und ganze Textteile unleserlich werden. Werbeauftraggeber: "Drucksachen dürfen doch nicht abschmieren!" Agentur: "Davon sind wir auch ausgegangen". Druckerei: "Niemand hat uns gesagt, dass Drucksachen diesem intensiven Gebrauch ausgesetzt sein werden". Mangel ja oder nein? Was war vereinbart? Was durfte auch ohne Vereinbarung erwartet werden?
Vereinbartes und Vorausgesetztes
Werkmangel ist "Vertragsabweichung", "mangelhaftes Arbeitsergebnis". Es fehlt eine vertraglich geforderte Eigenschaft des Werkes (Gautschi, Rz 1356). Massgebend ist, welche Qualität der Besteller nach dem Inhalt des Vertrages in guten Treuen erwarten durfte und welche Vorgaben der Besteller machte. Erwartet werden dürfen nicht nur die vereinbarten (und allenfalls explizit zugesicherten), sondern auch die vorausgesetzten Eigenschaften. Zusicherungen können spontan oder auf Verlagen (z.B. aufgrund von Ausschreibungsunterlagen), und ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen. Eine Bestätigung der Echtheit eines Gemäldes ist nach der deutschen Rechtsprechung noch keine "Garantie" der Echtheit: Daß die Galerie die Urheberschaft eines Künstlers ausdrücklich "bestätigt" habe, sei noch keine "Zusicherung der Echtheit". Im Kunsthandel sei angesichts der häufig bestehenden Zweifel an der Urheberschaft strenge Anforderungen zu stellen an eine Garantieerklärung [BGH - VIII ZR 126/94 - 15.02.95; DRsp-ROM Nr. 1995/4146].
Sachmängel und Rechtsmängel
Das von der Agentur zu verantwortende Werk kann Sach- oder Rechtsmängel aufweisen. Sachmängel sind tatsächliche, physische Mängel, Rechtsmängel sind rechtliche Hindernisse, welche die Benutzung oder den Gebrauch des Produkts einschränken (z.B. Einsatz eines geklauten Bildes, fehlende Lizenzrechte, Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch widerrechtliche Veröffentlichung abgebildeter Personen oder Unternehmen etc.).
Offene und geheime Werkmängel
Nach der Erkennbarkeit des Mangels unterscheidet man offene und geheime Werkmängel. Offene Mängel sind "bei der Annahme und ordnungsgemässen Prüfung" des Werkes erkennbar (vergl. dazu Art. 270 Abs.1 OR, "persönlich" Februar 2001). Der geheime Mangel kann entweder ein Folgemangel oder ein schlicht verborgener Mangel sein (Gautschi Rz 1464 und 2074 ff.)
BGE 117 II 427 ff.: Geheime Mängel "müssen dem Unternehmer sofort nach ihrer Entdeckung angezeigt werden, ansonsten das Werk auch insoweit als genehmigt gilt. Entdeckt ist ein Mangel mit dessen zweifelsfreier Feststellung (BGE 107 II 175 E. 1a). Die Rügefrist wird daher weder durch die objektive Erkennbarkeit des Mangels in Gang gesetzt, noch durch die Feststellung der ersten Mängelspuren, sofern der Besteller nach Treu und Glauben davon ausgehen darf, es handle sich bloss um übliche Erscheinungen, die keine Abweichung vom Vertrag darstellten, wie das insbesondere für ´wachsendeª Mauerrisse zutreffen kann. ( - ) Andererseits darf ihr das Wissen eines aussenstehenden Dritten nicht zugerechnet werden.
Folgemangel und verborgener Mangel
Einfache Folgemängel entwickeln sich erst später zu einer wahrnehmbaren Vertragsabweichung (Abschmieren der Farbe), sind aber im Keim bereits vorhanden, wenn das Werk geliefert und geprüft werden muss. Sekundärmängel sind qualifizierte Folgemängel, welche wegen eines Primärmangels entstehen. Demgegenüber sind die schlicht verborgenen Mängel, solche, die nicht nur im Keim, sondern im vollen Umfang bereits bei Abnahme vorhanden sind, vom Besteller aber trotz ordnungsgemässer Prüfung nicht erkannt werden können.
Werkstoffmangel oder Herstellungsmangel
Nach der Ursache des Mangels kann unterschieden werden in Mängel, welche auf untaugliche Werkstoffe zurückzuführen sind und in Mängel, welche auf untaugliche Ausführungsarten zurückzuführen sind.
Erhebliche und geringfügige Mängel
Nach der Erheblichkeit des Mangels unterscheidet das Obligationenrecht erhebliche und minder erhebliche Mängel. Voll erhebliche Mängel sind "so erheblich, dass das Werk für den Besteller unbrauchbar oder unter Berücksichtigung aller Umstände sonstwie unannehmbar ist" (Gauch Rz 1468, Art. 368 Abs.1 OR). Unerhebliche Mängel gibt es bei Werkverträgen (im Gegensatz zu Kaufverträgen) nicht (Gauch Rz 1469).
Mängel an unkörperlichen Werken
Zurück zu den unkörperlichen Werken: Auch unkörperliche (geistige) Werke können mangelhaft sein, wenn sie die vertraglich vereinbarten oder vorausgesetzten Eigenschaften nicht aufweisen. Dazu zählen beispielsweise:
• ein fehlerhafter Kostenvoranschlag,
• die ungenügende Gestaltung eines Verkaufsprospekts
• mangelhafte Übersetzungsarbeiten
• unkompetente Gutachtertätigkeit
• ungenügendes Verfassen eines (Film) - Manuskripts
• misslungene Anfertigung eines Kunstwerks
Das mangelhafte Kunstwerk
Doch aufgepasst: Die Tatsache, dass ein Kunstwerk, ein Design, die Präsentation einer Werbekampagne oder die Maquette zu einer Illustration dem Besteller nicht gefällt, ist noch lange kein Werkmangel, solange der kreative Gestalter (der Fotograf, der Künstler, der Designer) sich bei der Ausführung an die Grenzen seiner vertraglichen Gestaltungsfreiheit hielt. Nicht selten wird subjektives Missfallen missbräuchlich zu einem Mangel uminterpretiert. Das indes müssen sich Kreative nicht gefallen lassen.
Spektakel und Aufführungen sind Werke
Das Bundesgericht hat den Vertrag über die Schaffung eines Kunstwerks (Ausführung eines Mosaiks auf einer Gebäudewand) als Werkvertrag qualifiziert (BGE 115 II 50 ff., E. 1) und dabei folgendes festgehalten:
Die Tatsache dass der Vertrag zur Herstellung eines künstlerischen Werkes ein persönliches Vertrauensverhältnis voraussetzt, ist völlig mit dem Wesen eines Werkvertrages vereinbar. Wo das persönliche Vertrauensverhältnis Voraussetzung ist, muss das Werk auch vom Auserkorenen persönlich ausgeführt werden (Art.364 Abs.2 OR). Das Bundesgericht bestätigte in BGE 109 II 37 und 112 II 46, dass der Werkbegriff im Sinne von Art. 363 OR "peut revêtir une forme aussi bien matérielle qu'immatérielle et qu'il peut s'appliquer, par exemple, à la fourniture d'un spectacle par un organisateur, d'une production artistique par un artiste ou un orchestre, d'une représentation cinématographique. ( - ) Un maître d'ouvrage peut très bien commander une oeuvre à un artiste en lui laissant carte blanche, le cas échéant dans certaines limites plus ou moins étroites. Il n'en reste pas moins que l'on a affaire à une commande d'ouvrage et à une promesse de résultat. Il est vrai que plus la liberté laissée à l'entrepreneur est grande, plus le contrôle du maître quant à la conformité de l'ouvrage avec ce qu'il en attendait est réduit. Les droits du maître fondés sur une exécution défectueuse ou non conforme peuvent s'en trouver très limités, mais cela ne suffit pas à modifier la qualification du contrat. S'agissant, comme en l'espèce, d'un ouvrage matériel à exécuter selon des étapes et à l'aide d'un matériau préétablis, mais dont la conception et l'aspect résultent d'une activité intellectuelle créatrice, il ne se justifie pas d'écarter l'application des règles sur le contrat d'entreprise, mieux adaptées à la situation que celles du mandat".
Wer muss abmahnen?
Das Gesetz geht davon aus, dass die Sachkompetenz in der Regel beim Ausführenden, nicht beim Besteller liegt. Der Ausführende hat deshalb die Pflicht, den sachunkundigen Besteller abzumahnen, auf Risiken hinzuweisen, die Machbarkeit anzuzweifeln. Das Bundesgericht hat dazu in BGE 116 II 455f. festgehalten: "Der Unternehmer im Werkvertrag schuldet ein mängelfreies Werk und hat sich bei dessen Mangelhaftigkeit je nach Erheblichkeit der Mängel die Wandelung des Vertrages oder die Herabsetzung des Werklohnes gefallen zu lassen oder kann zur Nachbesserung des Werkes verpflichtet werden; bei Verschulden haftet er überdies für den Mangelfolgeschaden (Art. 368 OR). ( - )
Die Sachgewährleistungsansprüche des Bestellers entfallen, wenn er durch Weisungen, die er entgegen den ausdrücklichen Abmahnungen des Unternehmers über die Ausführung erteilte, oder auf andere Weise die Mängel selbst zu vertreten hat (Art. 369 OR). ( - )
Die Sachgewährleistung des Unternehmers entfällt nach Art. 369 OR im allgemeinen bloss, wenn der Besteller trotz Abmahnung an seiner Weisung festhält. Die gesetzliche Regelung beruht dabei auf der Vorstellung, dass im Werkvertragsrecht die Sachkenntnis beim Unternehmer liegt. ( - )
Verfügt der Besteller über den erforderlichen Sachverstand, wird der Unternehmer von seiner Haftung auch dann befreit, wenn er eine Abmahnung unterlassen hat, es sei denn, er habe die Fehlerhaftigkeit der Weisung erkannt oder hätte sie erkennen müssen ( - )
Objektiv erkennen muss der Unternehmer die Fehlerhaftigkeit einer Weisung, wenn sie (die Fehlerhaftigkeit. Anm. der Redaktion) offensichtlich oder er zur Nachprüfung der Weisung verpflichtet und nach dem vorausgesetzten Fachwissen in der Lage ist, die Fehlerhaftigkeit zu erkennen. Eine Nachprüfungspflicht des Unternehmers kann sich auch dann ergeben, wenn der Besteller eine Nachprüfung nach den Umständen des Einzelfalls in guten Treuen erwarten darf. Eine solche Nachprüfung kann nach zutreffender Auffassung dann erwartet werden, wenn der Sachverstand auf seiten des Unternehmers (Spezialunternehmer) bedeutend weiter reicht als beim Besteller. Abzustellen ist dabei auf die spezifischen Verhältnisse des konkreten Falles (-).
Der Unternehmer hat bei der Herstellung des Werks die objektiv gebotene Sorgfalt aufzuwenden, selbst wenn seine subjektiven Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen nicht ausreichen. ( - ) Der Unternehmer kann sich nicht darauf berufen er habe die Abmahnung unterlassen, weil er den Fehler, den er hätte erkennen müssen, nicht erkannt habe. Durch das Unterlassen der Abmahnung hat der Unternehmer einen zusätzlichen Werkmangel gesetzt, den er zu vertreten hat. Es liegt somit kein Selbstverschulden der Beklagten im Sinne von Art. 369 OR vor, welches die Klägerin von ihrer Verantwortung vollständig entbinden würde".
von Dr. iur. Bruno Glaus