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Modelle der Agenturführung – Prüfstein Überzeit.

Die Regelung von Zielkonflikten zählt zum Anspruchsvollsten der Agenturführung. Kundenwünsche, Qualitätsansprüche, Wirtschaftlichkeit, Effizienz, Spass an der Arbeit, ethische Leitplanken, Gesundheit der Mitarbeiterinnen - dies alles kollidiert am Brennpunkt „Überstunden / Überzeit“.

Sie haben es gehört oder gelesen: Eine Genfer Werbeleiterin sorgte im Jahr 2000 für Furore in der Branche. Sie klagte ihre Agentur nach langjähriger Mitarbeit ein - und obsiegte teilweise. Sie sei keine höhere leitende Angestellte, deshalb müsse man ihr die Überzeit auszahlen, entschied das Gericht. Nicht bezahlen musste die Agentur die Überstunden.

Was sind Überstunden, was ist Überzeit?
Als Überstunden gelten alle Arbeitsstunden, welche über die vertraglich vereinbarte normale wöchentliche Arbeitszeit hinaus geleistet werden, bis maximal 45 Stunden pro Woche. Mit einer 40-Stunden-Woche können somit pro Woche 5 Überstunden geleistet werden. Es kann folgende Faustregel angewendet werden: In Betrieben mit 40-Stunden-Fünftagewoche und 5 Ferienwochen kann während 47 Wochen die vertragliche Arbeitszeit bis zu 45 Stunden überschritten werden (5 x 47 = 235). Diese Überstundenzahl zuzüglich 60 Stunden Überzeit gemäss Art. 13 Abs. 2 ArG (insgesamt somit 295 Stunden) können vertraglich im Monatslohn eingeschlossen werden.

Freies Quorum bei Überzeit
Die Arbeitsstunden, welche über die wöchentliche Höchstarbeitszeit nach Arbeitsgesetz hinaus geleistet werden (d.h. 45 Stunden für Büropersonal, Art. 9 ArG), nennt man Überzeit. Für das Büropersonal setzt das Arbeitsgesetz auch hier nochmals ein Quorum: Die ersten 60 Stunden Überzeit pro Jahr können wiederum wie die Überstunden in den Monatslohn eingeschlossen werden, ab der 61. Stunde muss indes mit einem Lohnzuschlag von 25 Prozent entschädigt werden - wenn nicht kompensiert werden kann. Und dies gilt auch für das mittlere Kader (Ausnahme: höhere leitende Angestellte mit unternehmerischer Weisungs- und Entscheidungsbefugnissen).

Der Satz „Überzeit kann nicht kompensiert oder ausbezahlt werden“ ist somit nur teilweise richtig - soweit nämlich, als damit Überstunden gemeint sind. Nicht kompensiert oder mit Zuschlag entschädigt werden nach dieser Formulierung die Überstunden und die ersten 60 Stunden Überzeit pro Jahr. Kommunikations-Unternehmen unterstehen dem Arbeitsgesetz (ArG), welches die Überzeit-Entschädigung zwingend vorschreibt (Vorbehalt: höhere leitende Angestellte). Überzeit kann, im Gegensatz zu Überstunden, nicht im Monatslohn eingeschlossen werden. Sie muss durch Freizeit im Verhältnis von 1:1 oder durch Entlöhnung mit einem Lohnzuschlag von mindestens 25 Prozent entschädigt werden.

Ausgleichsarbeit zählt nicht
Nicht in diese Berechnung einbezogen wird „Ausgleichsarbeit“ (z.B. das Vorholen für Weihnachts- und Neujahrstage, vergl. dazu Art. 11 ArG). Das Vorholen von Arbeitszeit ist keine Mehrleistung und somit nicht an die Überzeit anzurechnen, weil „die Ausgleichsarbeit auch im Interesse der Arbeitnehmer“ liegt (Hug, Kommentar zum Arbeitsgesetz, Bern 1971, Art. 11 Rz 5). Im Gegensatz zur Überzeit darf Ausgleichsarbeit auch ausserhalb der Grenzen der Tagesarbeit und an Sonntagen geleistet werden. Falls in der Sollarbeitszeit die überbrückten Tage in Abzug gebracht wurden, kann die „Ausgleichszeit“ vom Überstundenguthaben abgezogen werden.

Und ebenfalls nicht zur Arbeitszeit gerechnet werden müssen Pausen von mindestens einer Viertelstunde, wenn die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlassen dürfen (Art. 15 ArG).

Leitbilder der Agenturführung
Arbeitgeber haben grundsätzlich drei Optionen, den überdurchschnittlichen Einsatz der Mitarbeiterinnen zu honorieren:

• Das freiheitliche Modell basierend auf Vertrauen
• Das Management-Modell basierend auf Interaktion
• Das legalistische Modell basierend auf Kontrolle

1. Das freiheitliche Modell (Vertrauensmodell)
Überstunden in zumutbarem Rahmen sind im Monatslohn inbegriffen, die Monatslöhne sind entsprechend angesetzt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber rechnen sich gegenseitig nichts vor: es muss nicht gestempelt werden; Pausen werden nicht in Abzug gebracht (obwohl dies unter gewissen Umständen möglich wäre), beim vorübergehenden Verlassen des Arbeitsplatzes muss nicht ausgestempelt werden; Überbrückungstage müssen nicht vorgeholt werden, in einzelnen Betrieben gibt es gar eine zusätzliche Ferienwoche.

Die Gefahr und der Nachteil des reinen freiheitlichen Modells - die Sache entgleitet. Arbeitnehmer und Arbeitgeber wissen oft gar nicht, was sich an Überzeit, die dann irgendwie und irgendwo doch erfasst wird, anhäuft. Die Parteien streiten sich dann u.U. über die Höhe der Überzeit oder darüber, ob solche Überzeit angeordnet wurde oder betriebsnotwendig war. Weiter besteht die Gefahr, dass falsch verstandener Eifer generiert und honoriert wird. Übermässiges Arbeiten ist bekanntlich von einem gewissen Punkt an nicht notgedrungen leistungs- oder kreativitätsfördernd. Das reine Vertrauensmodell muss deshalb nicht das Ideal-Modell sein. Viele Agenturen nähern sich deshalb dem zweiten Modell an, welches ich das proaktive Modell oder Management-Modell nenne.

2. Das proaktive oder Management-Modell
In diesem Modell werden Überstunden und Überzeit „bewirtschaftet“, d.h. zum Thema von Führungsgesprächen gemacht. Wie im freiheitlichen Modell sind Überstunden im Monatslohn inbegriffen. Doch werden Überstunden und Überzeit bewirtschaftet. Wenn Arbeitnehmer in den „roten“ Bereich kommen, welcher von der Unternehmensleitung definiert wird, werden sie zur Kompensation angehalten, und im anaeroben Bereich werden verbindliche Massnahmen angeordnet oder vereinbart. Denn wenn Überstunden eine bestimmte Schwelle überschreiten, z.B. 100 oder 200, genügen Gespräche nicht mehr, es braucht verbindliche Massnahmen. Kurzfristige Ausnahmen bleiben vorbehalten, doch dürfen sie nicht zur Regel werden. Über 250 gilt Alarmstufe. Es könnten hier teilweise Elemente eingebaut, die zum 3. Modell zählen, zum sog. legalistischen Modell: es werden z.B. Pausen verordnet, welche nicht an die Arbeitszeit angerechnet werden, damit die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen den Arbeitsplatz verlassen (können oder müssen), es werden Kompensations-Tage oder halbe Tage verfügt.

3. Das legalistische Modell
Es wird von jenen Unternehmen bevorzugt, die nur das Minimum an Gegenleistung bieten wollen und mit allen Mitteln verhindern wollen, dass sie von einem Arbeitnehmer je betrogen werden könnten. Hier wird gar nichts geschenkt: Es muss eingestempelt werden, es muss täglich neben der Mittagspause eine Pause von mindestens 30 Minuten eingezogen werden, welche nicht als Arbeitszeit angerechnet wird, Überbrückungstage müssen vorgeholt werden oder werden mit Überstunden kompensiert, auch Ferienwochen über den gesetzlichen Anspruch hinaus werden nicht einfach geschenkt, sondern als Kompensation für Überzeitguthaben verordnet. Bei diesem Modell ist meist auch am Schluss eines langjährigen Arbeitsverhältnisses nicht mehr viel aufzurechnen. Beim legalistischen Modell wäre die leitende Agenturmitarbeiterin einer Genfer Agentur, die alles ins Rollen brachte, leer ausgegangen.

Als Anwalt müsste man den Agenturen das Modell 3 empfehlen, das harte legalistische Modell. Hier entsteht am wenigsten Spielraum für Missbräuche. Das Modell ist aber auch ein Modell der Kleinlichkeit und Kleinkarriertheit. Das Modell mag für Fliessbandarbeit angemessen sein, der kreativen Arbeit wird es nicht gerecht. Viele Agenturen positionieren sich deshalb auch nach dem bundesgerichtlichen Verdikt irgendwo zwischen dem Vertrauens- und dem Bewirtschaftungsmodell.

 

von Dr. iur. Bruno Glaus


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