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Fristbeginn bei Doppelzustellung – Bundesgericht stärkt Rechtssicherheit

Im zur Publikation vorgesehenen Urteil 1C_713/2024 hatte das Bundesgericht eine Frage im öffentlichen Verfahrensrecht zu beurteilen: Wann beginnt die Rechtsmittelfrist zu laufen, wenn eine Verfügung sowohl direkt der Partei als auch deren Rechtsvertretung zugestellt wird – und die Partei den Brief zuerst öffnet?

Der Fall betraf eine Juristin, die beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) angestellt war. Während ihrer krankheitsbedingten Abwesenheit kürzte ihr die Arbeitgeberin den Lohn. Sie wehrte sich – doch das Bundesverwaltungsgericht trat nicht auf ihre Beschwerde ein. Die Begründung: Die Beschwerde sei zu spät eingereicht worden. Das erklärte sich das Bundesverwaltungsgericht wie folgt: Der Beschwerdeführerin und ihrer Rechtsvertretung wurde die Verfügung des BSV per Einschreiben zugestellt. Die Beschwerdeführerin hatte dieses geöffnet und zwei Tage später ihrer Rechtsvertretung per E-Mail weitergeleitet. Dass die (Anm.: korrekte) Zustellung an die Rechtsvertreterin durch ihre Entgegennahme des Einschreibens erst drei Tage später erfolgt sei, sei unerheblich gewesen. Mit der Weiterleitung der E-Mail durch die Beschwerdeführerin sei die Verfügung in den Machtbereich ihrer Rechtsvertreterin gelangt und somit eröffnet gewesen. Ab diesem Zeitpunkt sei die Frist gelaufen.

Eine Einschätzung mit gravierenden Folgen. Sie hätte bedeutet, dass Parteien künftig trotz anwaltlicher Vertretung riskieren, selbst ungewollt Fristen auszulösen. Richtigerweise wehrte das Bundesgericht diesen Frontalangriff auf die Rechtssicherheit klar ab. Es erklärte unmissverständlich, dass Mitteilungen bei bestehender Rechtsvertretung ausschliesslich an diese zuzustellen sind und eine Zustellung einer beschwerdefähigen Verfügung an die Partei persönlich eine mangelhafte Eröffnung darstellt. Nur die gesetzeskonforme Zustellung an die Rechtsvertretung löst die Frist aus – nicht eine vorgängige, interne Weiterleitung durch die Partei selbst. Dies sei keine blosse Ordnungsvorschrift, sondern ein tragender Pfeiler der Rechtssicherheit.

Trotz Eingreifen des Bundesgerichts mahnt das Urteil eindringlich dazu, bei Fristen jeweils mit grösster Sorgfalt vorzugehen. Im Zweifel gilt: Lieber eine Rechtsschrift zu früh als zu spät einreichen, um keine unnötigen Risiken einzugehen.