Blog

Eingeschränkte Informationsfreiheit bei Ausländerthemen?

Kritische Anmerkungen zur Spruchpraxis des Presserates bei Berichterstattung über Ausländer

Kriminal- und Gerichtsberichte seien durchsetzt mit rassistischen Vorurteilen, hatte der Presserat vor einigen Jahren festgestellt. Unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten Roger Blum hatte das Aufsichtsorgan empfohlen, auf die Nationalitätennennung zu verzichten. Das damalige Präsidium hatte die „Stellungnahme zum Rassismus in der Kriminalberichterstattung“ selber veranlasst und mit wissenschaftlichen Zeitungsvergleichen untermauert. Der Presserat berief sich auf das Diskriminierungsverbot in Ziffer 8 des Pflichten-Kodex der Journalistinnen und Journalisten. Nationale Zugehörigkeit und Geschlecht sowie andere höchstpersönliche Eigenschaften durften danach in Kriminal- und Gerichtsberichten nur angemerkt werden, „sofern sie für das Verständnis unerlässlich sind“.

 

Die Stellungnahme aus dem Januar 2001 wurde heftig kritisiert. Zur wahrheitsgetreuen Berichterstattung (Ziffer 1 des Pflichten-Kodex) gehöre auch die Nennung unschöner Tatsachen, führte der Kriminalistik-Experte Professor Martin Killias in einem Streitgespräch mit dem früheren Presseratspräsidenten aus. Mehrere Chefredaktoren und Medienredaktionen verbaten sich die presserätliche Gängelung (unter anderem NZZ, Tages-Anzeiger, Radio DRS

Keine zwei Jahre vergingen bis der Presserat – unter neuer Leitung - eine „Neufassung“ des Diskriminierungs-Verbots beschloss. Die „Richtlinien“ (eine Art Erläuterung bzw. Präzisierung zur „Erklärung“) wurden in Ziffer 8.2 wie folgt ergänzt (Ergänzung kursiv): „Bei Berichten über Straftaten dürfen Angaben über ethnische Zugehörigkeit, Religion, sexuelle Orientierung, Krankheiten, körperliche oder geistige Behinderung gemacht werden, sofern sie für das Verständnis notwendig sind. Die Nennung der Nationalität darf keine Diskriminierung zur Folge haben: sofern sie nicht systematisch erwähnt (und also auch bei schweizerischen Staatsangehörigen angewendet wird), gelten die gleichen restriktiven Bedingungen wie für die übrigen in dieser Richtlinie genannten Angaben. Besondere Beachtung ist dem Umstand zu schenken, dass solche Angaben bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können“.

Glatteis für Medienschaffende
Diese Anpassung wird wohl kaum als Musterbeispiel für allgemein verständliche, griffige Legiferierung in die Annalen des Presserats eingehen. Klarheit besteht letztlich nur in einem: Journalisten sind auf die Güterabwägung im Einzelfall zurückgeworfen. Wenn es um kritische Berichterstattung über Ausländer geht, stehen sie mit einem Bein – zwar nicht gerade im Gefängnis – aber doch im Zwielicht einer presserätlichen „Verurteilung“.

Wann ist eine Berichterstattung im Einzelfall als diskriminierend zu werten? Diese Frage möchte und muss ein Medienschaffender beantworten können, wenn er ein heikles Ausländer-Thema anpackt. Doch worauf stellt er ab?

Der Presserat hat folgende Prüfungsschritte empfohlen: „Bei jeder Aussage ist kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird“ (Stellungnahmen 9/2002 und 21/2001). Der Presserat verlangt, die kritische Berichterstattung müsse „klar und eindeutig“ der kritisierten Gruppe zugeordnet werden („Die Jugos“, Stellungnahme 52/2001). Dieses pauschalisierende Verdikt erstaunt, weil mit „Die Jugos“ eine unverkennbar in Kunstform gekleidete, ironisierende Kolumne zu Ausschreitungen nach einem Fussballspiel Schweiz – Serbien beurteilt werden musste.

Problematisch ist die Spruchpraxis des Presserats in zweierlei Hinsicht. Zum einen kollidiert sie mit seiner Spruchpraxis zu den Ziffern 1 der „Erklärung“ (Wahrheitspflicht) und Ziffer 3 (Entstellung von Tatsachen). Gemäss ständiger Praxis kann aus diesen Ziffern „keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden, weshalb auch eine einseitige und parteiergreifende Berichterstattung zulässig ist ...ansonsten wäre die publizistische Form der Kolumne bedroht“ (Stellungnahme 9/2002). Zum andern kollidiert die Spruchpraxis mit Gütern, welche durch Kunstfreiheit und Informationsfreiheit geschützt werden: Die Vielfalt der Stilformen. Und zur Kunstfreiheit zählt, dass sie nicht als Kunst deklariert werden muss. Demgegenüber argumentiert der Presserat im Fall „Die Jugos“ folgendermassen: Wenn der Artikel ironisierend gemeint sei, hätte die Leserschaft deutlich auf diese Absicht hingewiesen werden müssen. Wohl nach dem Motto: Achtung, dies ist eine Satire. Aussagen in diesem Bericht könnten missverstanden werden. Lesen Sie diesen Bericht nur, wenn sie satire-kundig sind!

Mit seiner Spruchpraxis zur Berichterstattung über Ausländer schränkt der Presserat nichtwillentlich, aber letztlich zwingend die Wahl gewisser publizistischer Formen ein. Formen, welche naturgemäss eine gewisse Zwei- oder Mehrdeutigkeit einschliessen, stehen nicht mehr zur Wahl (z.B. Parodie, Satire, vorallem auch die Erzählform „oral history“). Damit werden journalistische Sprach- und Stilformen auf dem Gebiet der Berichterstattung über Ausländer in einem Mass eingegrenzt, welches sich nicht mit der verfassungsmässig garantierten Medien- und Kunstfreiheit vereinbaren lässt.

Parodie, Satire und Fiktion sind auch im Journalismus als Kunstform anzuerkennen. Sie geniessen nicht nur den Schutz der Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit, sondern auch der Kunstfreiheit (BverfG NJW 1987, 2661). Die durch die Kunstfreiheit geschützten Kunstformen müssen auch Missverständnisse bewirken können. Massgebend für die Anerkennung eines Berichts als Kunst ist die Auffassung des für die betreffende Kunstform aufgeschlossenen Menschen, wie in der jüngeren Literatur zu Recht festgehalten wird. Es kommt diesen Formen nach dem Grundsatz der indirekten Drittwirkung der Verfassungsrechte über die verfassungskonforme Auslegung der zivilrechtlich kollidierenden Normen ein besonderes Gewicht zu. Zwar bedeutet dies keine schrankenlose Freiheit. Beschränkungen der aktiven und passiven Informationsfreiheit sind aber nach Art.10 Abs.2 EMRK nur verfassungs- und menschenrechtskonform, soweit sie in einer demokratischen Gesellschaft „notwendig“, somit unentbehrlich sind.

Einschränkungen setzen Notwendigkeit voraus
Diese Unentbehrlicheit von Einschränkungen in der Berichterstattung über Ausländer steht meines Erachtens keineswegs fest. Zwar ist der Presserat beim Festlegen berufsethischer Schranken nicht an den gesetzlichen Rahmen gebunden, er darf darüber hinaus „legiferieren“. Dennoch wünschte man sich, er würde sich (nota bene nicht nur beim Thema „Berichterstattung über Ausländer“) vermehrt an der Güterabwägung des Gesetzgebers und an gesellschaftspolitischen Interessen orientieren. „Wenn man die Nationalität verschweigt, spielt man den Rassisten in die Hände. Dann können sie behaupten, sie seien die einzigen, die es wagen, die ‚Wahrheit‘ auszusprechen“, führte Martin Killias in einem Interview im „Tages-Anzeiger“ aus. Unbefangene kritische Berichterstattung über sensible Themen wie Ausländer, Balkan, Staat Israel, das Judentum etc. kann auch eine enttabuisierende, reinigende Funktion haben. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich die Projektgruppe der Jubliäumsschrift SG 2003 „Die verbotene Liebe zum Balkan“ (Siehe Kasten) dazu entschieden, auch ausländer-kritischen Stimmen eine Plattform zu geben. Missverständnisse sind möglich, vielleicht vorprogrammiert, weil auch Leute aus dem „einfachen Volk“ zu Wort kommen. Findet Volkes Stimme über die gewählte Kunstform (oral history) Aufnahme im Buch, kollidiert es mit den presserätlichen Grundsätzen. Einzelne Aussagen der 12 interviewten Familien könnten „durchaus in einem zu Unrecht kollektivierenden Sinn und damit diskriminierend verstanden werden“ (Presserat Stellungnahme 52/2001).

„Die verbotene Liebe zum Balkan“
Ist kritische Berichterstattung über Ausländer möglich? Dieser Frage gingen jüngst einige Medienschaffende im Rahmen eines Buchprojekts SG 2003 „Die verbotene Liebe zum Balkan“ nach, welches der Kanton St.Gallen als eines von 30 Jubiläumsprojekten zur 200-jährigen Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft freigegeben hat. Der Diskussion lagen vier „Fallbeispiele“ zugrunde, welche das Spannungsfeld illustrieren:

Fallbeispiel 1: Am 3. November 2000 hatte der Presserat noch unter früherem Präsidium entschieden, die Begriffe „Ex-Jugoslawien“ und „Ex-Jugoslawen“ seien diskriminierend.

Fallbeispiel 2: In der Weltwoche Nr. 44 vom 1. November 2001 machte sich Linus Reichlin nach dem katastrophalen Zusammenstoss zweier Lastwagen im Gotthard-Tunnel über ausländische Lastwagen-Chauffeurs türkischer Abstammung her.....“ich einmal verwechselt Handbrems mit Whisky-Flasch, zieh an Handbrems statt an Wiskyflasch, macht Bumm (-) such an Boden Haschischzigarett, geb weiter Gas mit recht Hand, seh Zigarett vor mir unter Bremspedal, macht Bumm. Jetzt ich wieder Fischer in Üzüml¨“.

Fallbeispiel 3: „Die Jugos“ – ein Bericht aus dem Jahr 2101 über serbische Fussball-Fans vor 100 Jahren nach einem Fussball-Spiel Schweiz-Serbien in Basel, aus der Feder von NZZ-Mitarbeiter Dario Venutti mit elterlichen Wurzeln im Balkan. Der Presserat kam zum Schluss, der (ironisierende) Artikel ordne „die als Vorurteile wiedergegebenen (!) negativen Eigenschaften jedoch zuwenig klar und eindeutig nur den gewalttätigen Fans der jugoslawischen Mannschaft“ zu.

Fallbeispiel 4: „Asylant!“ – Sprachpolemik erster Güte aus der rechten Ecke in der Kunstform einer Parodie, als Inserat verpackt und von zwei Schweizer Zeitungen publiziert. Die Evangelische Landeskirche, welche mit ihrem Hilfswerk HEKS („Hex“) zusammen mit der Caritas („Karitta“) Schweiz als Gehilfen krimineller Asylanten denunziert wurden, klagten mit Erfolg gegen den Verfasser des Inserats. Die Berner Amtsrichterin wollte das Inserat nicht als vertretbare Parodie im Rahmen einer grosszügig ausgelegten Meinungsäusserungsfreiheit gelten lassen.

Alle Podiums- und Gesprächsteilnehmer, darunter NZZ-Mitarbeiter Dario Venutti und TA-Auslandredaktor Enver Robelli, beide mit elterlichen Wurzeln im Balkan, plädierten für grösstmögliche Freiheit der kritischen Berichterstattung auch dort, wo es um Ausländer geht - sofern alle Nationalitäten gleich behandelt würden. Auffallend war, dass auch die Journalisten, die Grenzen des Tolerierbren könnten bei den Fall-Beispielen 2 und 4, welche beide als Kunstformen erscheinen, überschritten sein.

 

von Dr. iur. Bruno Glaus