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Überstundenentscheid löste Panik aus (Persönlich November 2000)

Nach dem jüngsten Überzeit-Entscheid des Bundesgerichts blickten Agenturinhaber konsterniert nach Lausanne. "Das darf doch nicht wahr sein", klagen die Agenturinhaber, weil in den Medien von drohenden Millionenklagen die Rede war.

Der angebliche "Überstunden"-Entscheid des Bundesgerichts hat in der Werbebranche - und weit darüber hinaus - für beträchtliche Konfusion gesorgt. "Der Überstundenentscheid des Bundesgerichts hat Folgen: Tausende von Verträgen müssen abgeändert werden, sonst drohen den Firmen Millionenklagen", frotzelte die Weltwoche. Und damit war die Konfusion perfekt.

Anlass zu dieser Zuspitzung hatte die Homepage des Arbeitgeberverbands gegeben, welcher den Mitgliedern empfahl, künftig die Überstunden der Angestellten im Lohnausweis aufzuführen.

Überzeit mit Überstunden verwechselt
Um es vorweg zu nehmen: Wieder einmal treffen die Headlines in den Medien nicht den Kern der Sache. So wie viele Medien darüber berichtet haben, ist es nur die halbe Wahrheit. Wenn in den Überschriften von einem "Überstunden-Entscheid" die Rede war, und auch im Text, doch dann unvermittelt das Wort "Überzeit" verwendet wird ("Auch Pauschalabgeltungen von Überzeit sind ungültig") muss man hellhörig werden.

Zur Erinnerung: Das Bundesgericht hatte im Sommer die Klage einer leitenden Agenturangestellten gutgeheissen, obwohl im Arbeitsvertrag abgemacht wurde, dass die Entschädigung der Überstunden im Salär inbegriffen sei. Die monatlich 9000 Franken verdienende Frau machte den Lohn samt Zuschlag von 25 Prozent für 469 Stunden geltend, welche sie während zweier Jahre angehäuft hatte.

Überzeit im Arbeitsgesetz geregelt
Was in den Berichterstattungen als "Überstunden-Entscheid" kommuniziert wurde, ist in Wirklichkeit ein "Überzeit-Entscheid" und damit weit weniger dramatisch aus der Sicht der Agenturen. Denn gutgeheissen wurde nicht eine Klage zugunsten einer generellen Überstunden-Entschädigung, sondern eine Klage wegen Überzeit.

Überstunden im OR geregelt
Die Unterscheidung in Überstunden und Überzeit ist im Arbeitsrecht von grosser Bedeutung: Von Überstunden ist dann die Rede, wenn länger als vertraglich vereinbart gearbeitet werden muss, z.B. statt 40 Stunden 43 Stunden. Bis zur Schallgrenze von maximal 45 Stunden pro Woche handelt es sich um Überstunden. Nur wer länger als 45 Stunden pro Woche arbeitet, leistet Überzeit. Und diese ist im Arbeitsgesetz, nicht im Obligationenrecht geregelt. Bis zu 45 Stunden pro Woche sollten die Betriebe konsequent von Überstunden (im Sinne des Obligationenrechts), darüber von "Überzeit" (im Sinne des Arbeitsgesetzes) sprechen.

Pauschallohn kann Überstunden einschliessen
Überstundenarbeit und Überzeitarbeit werden nach Gesetz nicht gleich behandelt. Darauf haben die Verbände in der Zwischenzeit deutlich hingewiesen (vergl. Kasten zur Mitteilung des welschen Verlegerverbands). Überstunden müssen nach Gesetz (Art. 321c OR) in zumutbarem und notwendigem Rahmen immer geleistet werden. Nur dann, wenn die Vertragsparteien die Überstundenarbeit nicht ausdrücklich in den Monatslohn eingeschlossen haben, gilt eine Entschädigungs- und Zuschlagspflicht. Das Gesetz gibt den Vertragsparteien aber die Möglichkeit und das Recht, im Pauschallohn auch das zumutbare Mass an Überstunden (Differenz zwischen wöchentlicher Normalarbeitszeit und 45 Stunden) einzuschliessen (vergl. dazu Streiff / von Kaenel, Leitfaden zum Arbeitsrecht, N 5 zu Art. 321c OR).

Die Schallgrenze von 45 Stunden pro Woche
Leider ist in vielen Verträgen statt von Überstunden von Überzeit die Rede. Nach den Vertragsauslegungsprinzipien ist nicht die Bezeichnung, sondern der Sinn der Klausel entscheidend. Die Überzeit beginnt erst beim Überschreiten der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 45 Stunden. Alles was darunter liegt, ist als Überstunden zu klassifizieren, welche im Monatslohn eingeschlossen werden können.

Nur derjenige, welcher mehr als 45 Stunden pro Woche im Büro arbeitet, leistet Überzeit, welche — wenn sie 60 Stunden pro Jahr überschreitet — mit einem Lohnzuschlag von 25 Prozent entschädigt werden muss, wenn nicht durch Freizeit von gleicher Dauer ausgeglichen wird (Art. 13 ArG). Diese "Überzeit-Entschädigungspflicht" kann vertraglich nicht wegbedungen werden. Auch bei sogenannt leitenden Angestellten nicht, welche aber tatsächlich keine geschäftsbestimmenden Kompetenzen haben. Das — und nicht mehr — hat das Bundesgericht entschieden. Und damit im Grunde genommen lediglich bestätigt, was bereits in einer Mehrzahl von Rechtsschriften nachzulesen ist (z.B. Kommentar zum Arbeitsgesetz von Walther Hug, Bern 1971. S. 151). In der kommentierten Arbeitsgesetz-Ausgabe von Rehbinder/Müller wird gar die Auffassung vertreten, die ersten 60 Überzeitstunden pro Jahr können ebenfalls in den Pauschallohn eingeschlossen werden: "Überzeitarbeit unter 60 Stunden im Jahr ist also (...) dann nicht als Überstundenarbeit vergütungspflichtig, wenn eine schriftliche Einzelvereinbarung, ein GAV oder ein NAV die Vergütung ausgeschlossen haben."

Zusammenfassung:
Das Bundesgericht hat festgehalten, dass die Überzeit-Arbeit gemäss Arbeitsgesetz immer, auch bei anderslautender Vereinbarung in den Verträgen, entschädigungspflichtig ist (so nicht kompensiert wird), nicht aber die Überstundenarbeit. Diese Überstundenarbeit d.h. alle Arbeit, welche 45 Stunden pro Woche nicht überschreitet, kann mit dem pauschalen Monatslohn abgegolten werden. Zusätzlich können auch 60 Stunden Überzeit pro Kalenderjahr in den pauschalen Monatslohn eingeschlossen werden. Nur die darüber hinausgehende Überzeit-Entschädigung (mit Zuschlagspflicht) kann vertraglich nicht wegbedungen werden, es sei denn, es handle sich um Kadermitarbeiter mit effektiven geschäftsbestimmenden Kompetenzen. Und Vorrang hat ohnehin immer die Kompensationsmöglichkeit durch Freizeit.

Mustervorlagen für Überzeit- und Urheberrechtsregelungen können beim Autor über die E-Mail-Adresse unter www.glaus.com in Auftrag gegeben werden.

* Bruno Glaus ist Rechtsanwalt in Uznach und Dozent für Medien- und Kommunikationsrecht am SPRI, am MAZ und an der SAL. Soeben erschienen ist sein Lehrbuch "Das Recht der kommerziellen Kommunikation."

 

Zusammenfassung aus dem Bulletin der Association de la Presse Suisse Romande, Nr. 135, September 2000, zur Unterscheidung von Überstunden und Überzeit.
Unternehmen, welche dem Arbeitsgesetz (ArG) unterstellt sind (auch Werbeagenturen), müssen danach (frei übersetzt) folgendes unterscheiden:

a) Überstunden sind Stunden, welche über die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit hinaus bis maximal 45 Stunden (Höchstarbeitszeit gemäss ArG) geleistet werden. Solche Überstunden müssen mit Freizeit von gleicher Dauer oder wenn dies nicht der Fall ist, mit einer Entschädigung und einem Zuschlag von 25 % des Basislohnes kompensiert werden. Indes können der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemäss Art. 321c OR vereinbaren, dass Überstunden bis zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit in den Monatslohn eingeschlossen werden können (im Gegensatz zur Überzeit ab 61 Stunden, vergl. dazu nächste Ziffer).

b) Überzeit liegt vor, wenn die Arbeit die normale wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 Stunden pro Woche überschreitet. Zwingend mit einem Lohnzuschlag von 25% zu entschädigen sind Überzeit-Stunden, die 60 Stunden im Kalenderjahr überschreiten.

Die ansonsten zwingenden Bestimmungen des Arbeitsgesetzes kommen nicht zur Anwendung für Personen, die tatsächlich in einer hohen führenden Stellung arbeiten (Art. 3 lit.d L.T., Art. 9 OL). Unabdingbare Eigenschaft der Personen in führender Stellung ist deren Entscheidungsmacht, was zum Beispiel die tatsächliche Möglichkeit bedeutet, dauerhaft das Leben und die Struktur der Gesellschaft beeinflussen zu können. Nicht der Titel, sondern allein die effektive Stellung und die Kompetenzen, welche damit verknüpft sind, seien massgebend, hatte das Bundesgericht entschieden.

Zusammenfassend
1. Wenn es ausdrücklich im Vertrag festgehalten worden ist, müssen die über die vertraglich vereinbarte Nomalarbeitszeit und die über die gesetzliche Höchstarbeitszeit hinaus geleistete Überzeit bis zu 60 Stunden nicht besonders entschädigt werden, wenn diese Leistungen ausdrücklich in den Monatslohn eingeschlossen wurden.

2. Ab der 61'sten Stunde ist die Überzeit zwingend mit einem Zuschlag von 25 % zu entschädigen.

 

Anmerkung: Gemäss der kommentierten Arbeitsgesetzausgabe von M. Rehbinder und R. Müller zu Art. 13 Abs.1 Ziff. 2 sind auch Überzeitstunden unter 60 Stunden nur dann vergütungspflichtig, wenn die Vergütung nicht im Rahmen des Vertrages wegbedungen wurde, bzw. Überstunden und 60 Stunden Überzeit pro Jahr nicht im Monatslohn inbegriffen sind.

 

von Dr. iur. Bruno Glaus


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