Der kurze, aber heftige Schneefall vor einigen Wochen hat an vielen Orten zauberhafte Kunstwerke hervorgebracht. Bewundern konnte man Iglus, Skulpturen mit Rüblinase und andere kreative Formen. Dafür braucht es oftmals eine beträchtliche Menge Schnee. Da in den letzten Jahren die Schneeausbeute vielerorts derart mager war, kam es nicht selten vor, dass Schneekünstler auch auf grenzüberschreitende „Ressourcen“ des Nachbargrundstücks zurückgriffen. Ist dies erlaubt?
Wem gehört der Schnee? Grundsätzlich kann rechtmässiges Eigentum nur an einer Sache begründet werden. In der Juristerei ist eine Sache ein unpersönlicher, körperlicher, für sich abgegrenzter Gegenstand, welcher der menschlichen Herrschaft unterworfen werden kann.
Unpersönlich: Eine Sache darf keine Person und auch kein Tier sein. Auf Tiere werden zwar die sachenrechtlichen Bestimmungen analog angewendet. Schnee ist kein Mensch und auch kein Tier.
Abgegrenzt: Eine Sache muss eine Form haben. Bei flüssigen und gasförmigen Stoffen ergibt sich die Abgrenzung erst durch ein Behältnis. Bei sogenannten Mengensachen (wie Kohle, Getreide und Sand) ist nicht das einzelne Sand- oder Getreidekorn entscheidend, sondern eine verkehrsübliche Menge davon, etwa ein Kilogramm Sand. Schnee in seinem natürlichen Zustand – etwa als lose Schneedecke im Garten – ist dagegen nicht abgegrenzt. Ebenfalls hat auch eine einzelne Schneeflocke keine Sachqualität. Erst wenn Schnee gesammelt und in eine Form gebracht wird, wie bei einem Iglu oder einem Schneeball, könnte man von einer abgegrenzten Sache sprechen.
Beherrschbarkeit: Eine Sache ist rechtlich beherrschbar, wenn sie erworben, angeeignet und genutzt werden kann. Hier wird es komplizierter: Schon bei fliessendem Wasser sind sich Juristen und Juristinnen uneinig, ob es als Sache gelten kann. Ähnlich verhält es sich mit Schnee. Immerhin lässt sich Schnee durch Formen von Iglus und Schneebällen für eine begrenzte Zeit beherrschen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der unberührten Schneedecke im Garten keine Sachqualität zukommt. Es fehlt dem Schnee an der abgegrenzten beherrschbaren Form. Damit ist der Abtransport von losem Schnee sachenrechtlich weniger problematisch zu bewerten als die Aneignung einer bereits erstellten Schneeskulptur. Mit diesem Argumentarium sind Sie gewappnet für den nächsten Schneefall.
Wir wünschen Ihnen eine besinnliche und schneereiche Adventszeit.
Von Rechtsanwältin MLaw Lisa Stöckli, publiziert in der Linth Zeitung, im Sarganserländer und im Werdenberger&Obertoggenburger