Pacta sunt servanda - Verträge müssen eingehalten werden. Schön wär’s! Arbeitnehmer sind an Mehrjahresverträge und Kündigungsfristen nur beschränkt gebunden - sehr zum Leidwesen der Kultur- und Sportinstitutionen, aber auch der Agenturen.
An den Maschinen stehende ArbeitnehmerInnen waren im industriellen Zeitalter (fast) beliebig auswechselbar. Draussen standen die Nächsten Schlange. Wenn einer ging, entstand kaum Schaden. Ein bisschen Umtriebe, mehr nicht. Deshalb wurde - zum Schutz der Arbeitgeber - schon im alten Fabrikgesetz eine Bestimmung aufgenommen, welche die kleinen Umtriebe pauschal abgelten sollte. Arbeitnehmer, welche den Arbeitsplatz ungerechtfertigt fristlos räumten, mussten den Viertel eines Monatslohns zahlen. Mehr nicht. Strafstösschen, kein Penalty.
Strafstösschen: Ein Viertel-Monatslohn
Die Verhältnisse am Arbeitsplatz haben sich verändert - das Gesetz hingegen nicht. Die Stärke der Unternehmen, auch der Agenturen, besteht aus gut eingespielten, motivierten und qualifizierten Teams. ArbeitnehmerInnen sind kostbare Teile eines komplizierten Räderwerks. Stockt ein Teil, stockt das Ganze. Stellenwechsel kosten Geld und Nerven. Manchmal wird die ganze Teamarbeit aufs Spiel gesetzt. Der Aufbau neuer Teams dauert Monate, wenn nicht Jahre (vor allem in kreativen und sportlichen Teams). Diesen Umständen trägt jedoch das Arbeitsrecht nicht Rechnung. Denn weiterhin können ArbeitnehmerInnen - wie unter altem Fabrikgesetz - eine Stelle fristlos auflösen, ohne grosse Sanktionen.
Einzige reelle Gefahr. Das Strafstösschen! Der Viertel eines Monatslohns. Was einst als Pauschalentschädigung für die Umtriebe des Arbeitgebers gedacht war, ist zu einer lächerlichen, zu Missbräuchen geradezu einladenden "Austrittsgebühr" verkommen. Weder der materielle noch der immaterielle Schaden - beides nur schwer nachweisbar - werden damit gedeckt.
Wenn der schnöde Mammon lockt
ArbeitnehmerInnen mit reduziertem ethischen Verantwortungsbewusstsein können dies schamlos ausnutzen: Wenn es dem Schauspieler X. zwei Monate vor der Premiere nicht mehr passt, wenn Profi-Sportler Z. vom Nachbar-Club mitten in der Saison ein besseres Angebot erhält, oder - ganz banal - wenn Ihre Sekretärin über Nacht Lust auf sechs Monate Australien bekommt, sind Sie als Agenturinhaber oder Geschäftsführer machtlos. Und die Leidtragenden sind die andern MitarbeiterInnen, deren Teamleistung gefährdet wird. Meist stellen sie erst jetzt zum ersten Mal fest: Tatsächlich, auch langfristige oder nur mit langer Kündigungsfrist kündbare Arbeitsverträge können jederzeit ohne wichtigen Grund fristlos aufgelöst werden - lange feste Vertragsdauer oder lange Kündigungsfristen hin oder her!
Schutzlose Kolleginnen und Kollegen
Die zurückbleibenden frustrierten Kolleginnen und Kollegen sind schutzlos. Der Arbeitgeber hat nach Gesetz (Art. 337d OR) Anspruch auf die verführerisch kleine Entschädigung in der Höhe von einem Viertel des Monatslohnes. Nur ganz selten wird es ihm darüber hinaus gelingen, Schadenersatz durchzusetzen - weil die Anforderungen dafür sehr streng sind. "Schaden nicht nachgewiesen" oder "Schaden nicht kausal auf das Abhauen des Arbeitnehmers zurückzuführen" oder "Verletzung der Schadenminderungspflicht" - das alles wird man ihm, so ein Arbeitgeber das aufwendige Gerichtsverfahren auf sich nehmen will - entgegen halten.
Auf Vertragserfüllung klagen?
Kann denn die Arbeitgeberin nicht die Erfüllung des Arbeitsvertrages - sogenannte Realexekution - verlangen? Die Antwort ist bis heute umstritten. Durch eine ungerechtfertigte fristlose Entlassung oder durch ungerechtfertigtes Verlassen des Arbeitsplatzes werde das Arbeitsverhältnis nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich sofort beendet, sagen die einen. Nein, das Arbeitsverhältnis daure rechtlich fort, sagen die andern (vergl. eine Zusammenfassung der Meinungen im Entscheid des Kantonsgerichts Schwyz vom 02. August 1988, publ. in JAR 1990, S. 288.
Realerfüllung muss vereinbart werden
Das Kantonsgericht Schwyz hielt fest, "allein gestützt auf die Treuepflicht" könne nicht auf Realerfüllung geklagt werden. Wörtlich: "Der Arbeitnehmer weigert sich, zwar ungerechtfertigt aber definitiv, ein bestehendes Vertragsverhältnis weiter zu erfüllen..... Es liegt ein Vertragsbruch vor, von dem es kein Zurück mehr gibt...... es sei denn, es liege ein real erfüllbares Konkurrenzverbot vor.... wenn die Realexekution in einer Konkurrenzverbotsabrede vereinbart wurde".
Das heisst mit andern Worten: Agenturen tun gut daran, sich in Konkurrenzverbotsklauseln auch die Beseitigung des vertragswidrigen Zustands zu vereinbaren (Art. 340b OR). Wieweit solche Vereinbarungen auch für das fristlose Verlassen des Arbeitsplatzes möglich sind, ist in der Lehre umstritten. Es gibt gute Gründe, diese Frage zu bejahen. Warum soll ein Arbeitgeber bei schädigendem Wettbewerb eines Arbeitnehmers während des Arbeitsverhältnisses auf Unterlassung anderweitiger Tätigkeit klagen können, nicht aber im weit krasseren Fall, in welchem der Arbeitnehmer von einem Tag auf den andern den Bettel hinwirft? Oder gar zur Konkurrenz abhaut?
Klage auf Erfüllung "ultima ratio"
Der Zürcher Rechtsprofessor Manfred Rehbinder bejaht die Realexekution für all jene Fälle, in denen der Arbeitnehmer den Arbeitgeber im Wettbewerb direkt schädige, also mehr als nur eine Verletzung der Treuepflicht vorliegt (Arbeitsvertragsrecht, 15. Auflage, Rz 143). Offen lässt er die Frage, ob zur Realexekution (d.h. zur gerichtlichen Durchsetzung eines Arbeitsverbots in einem Konkurrenzbetrieb) immer eine Realerfüllungsabrede vorliegen muss? Realerfüllung ist nach Rehbinder immer die "ultima ratio" (Rz 380), welche gerichtlich durchgesetzt werden kann, wenn die verletzten und bedrohten Interessen des Arbeitgebers die Interessen des Arbeitnehmers klar überwiegen.
Sich auf Rechtsmissbrauch berufen?
Zu Recht fordert Kalbermatten in seinem Buch "Die Sportaktiengesellschaft" (Zürich 2001, S. 174), ein Arbeitgeber könne sich in krassen Fällen auf die Rechtsmissbrauchs-Bestimmung von Art. 2 ZGB berufen, wenn ArbeitnehmerInnen das Arbeitsverhältnis ungerechtfertigt und fristlos auflösten. Dies etwa dann, wenn ein Spieler kurz nach Unterzeichnung eines neuen befristeten Vertrages, oder kurz vor Stellenantritt, von einem andern Club ein Angebot erhalte und daraufhin den Vertrag mit dem früheren Club fristlos auflöse.
Dieser Meinung ist zuzustimmen: Beim Erlass von Art. 337d OR orientierte sich der Gesetzgeber an Art. 26 Abs. 1 des Fabrikgesetzes, der Norm lagen die Verhältnisse der Industriegesellschaft, mit grossen Massen gleichförmiger Arbeit verrichtender und damit leicht auswechselbarer Arbeitnehmer, zugrunde - was den Nachweis eines Schadens kaum gelingen liess. Heute sind indes die Zeichen genau umgekehrt: Hochspezialisierte Fachleute, die zum Projektteam zusammengeschweisst werden, Schauspieler, denen Stücke auf den Leib geschrieben, Sportler, die nach technischen und gruppendynamischen Kriterien auf ein Spielkonzept hin ausgewählt werden, sind unauswechselbar. Mit ihrem fristlosen Ausscheiden geraten ganze Betriebs- und Spielkonzepte ins Wanken.
Ausgerechnet GC-Präsident Peter Widmer
GC-Präsident Peter Widmer hat in einer Publikation (Rechtsfragen beim Vereinswechsel von Berufsfussballspielern, BJM Nr. 2/2002, S. 57 ff.) aufgezeigt, wie die Sportverbände dem Übel "Vertragsbruch" zu Leibe rücken wollen. Alle Verbandsmassnahmen - insbesondere die clubübergreifenden Transfer-Regelungen - sind darauf ausgelegt, "mehr Respekt vor laufenden Verträgen" durchzusetzen. Unverständlich deshalb, dass sich Widmer von Kalbermatten und Rehbinder, distanziert und die Klage auf Vertragserfüllung ablehnt (Widmer ist Vertreter eines finanzkräftigen Grossclubs, der eher zur Kategorie der Abwerber zählt). Nicht nachvollziehbar ist Widmers Begründung: Jede ungerechtfertigte fristlose Kündigung sei auch eine rechtsmissbräuchliche Kündigung. Dass dies nicht zutrifft, zeigt die Gesetzessystematik, welche unter Marginale III den Kündigungsschutz bei missbräuchlicher Kündigung regelt, und unter Marginale IV die fristlose Auflösung. Unzumutbarkeit und Rechtsmissbrauch sind zweierlei. Ein ungerechtfertigtes fristloses Verlassen des Arbeitsplatzes kann Rechtsmissbrauch sein, es muss aber keineswegs Unzumutbarkeit vorliegen. Die Kontroverse zeigt: Handelsbedarf besteht vor allem auf Gesetzes-Ebene.
Ungerechtfertigtes Verlassen der Arbeitsstelle
Das ist der wenig beachtete, wenig unternehmens- und teamfreundliche Art. 337d OR:
Tritt der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund die Arbeitsstelle nicht an oder verlässt er sie fristlos, so hat der Arbeitgeber Anspruch auf eine Entschädigung, die einem Viertel des Lohnes für einen Monat entspricht; ausserdem hat er Anspruch auf Ersatz weiteren Schadens.
Ist dem Arbeitgeber kein Schaden oder ein geringerer Schaden erwachsen, als der Entschädigung gemäss dem vorstehenden Absatz entspricht, so kann sie der Richter nach seinem Ermessen herabsetzen.
Erlischt der Anspruch auf Entschädigung nicht durch Verrechnung, so ist er durch Klage oder Betreibung innert 30 Tagen seit dem Nichtantritt oder Verlassen der Arbeitsstelle geltend zu machen; andernfalls ist der Anspruch verwirkt.
von Dr. iur. Bruno Glaus