Auch in der Werbebranche werden Mängelrügen häufig zur Abwehr einer gestellten Rechnung vorgebracht. Zu spät - denn Mängelrechte verwirken, wenn nicht rechtzeitig gerügt wird. Rechtzeitig heisst sofort (Teil 1 einer "persönlich"-Serie zur Mängelhaftung der Agenturen.
Immer das gleiche Szenario: Unverbindliche Offerte mit Begleitschreiben (Februar) — Einladung zur Präsentation (März) — verbindliche Offerte und Präsentation (April) — Überarbeitung von Entwürfen und Layoutvarianten (Mai) — erste Akontorechnung (Juni) - weitere Präsentation und Besprechung von Titel- und Bildkonzept, Festlegung von Seitenfolge mit Definition von Schriftgrössen, Bildauswahl, Zusatzwünsche angebracht (Juni) — erste Akontorechnung immer noch nicht bezahlt (Juli) — Mahnung — mündliche Mitteilung, CEO wolle "Übung" abbrechen (Ende August) — Schlussrechnung mit Begleitschreiben, Ausdruck von Enttäuschung (September) — erste schriftliche Stellungnahme CEO mit reduziertem Pauschalangebot wegen "grösster Mängel und Unzulänglichkeiten"(Ende September) — voilà! Die Mängelrüge nach geleisteter Arbeit.
Mängel müssen sofort gerügt werden
Wer eine Webseite, eine gestaltete Firmenbroschüre, ein Kunstwerk oder ein Mailing "in Auftrag gibt" hat als Besteller selbstverständlich Anspruch auf Ablieferung mängelfreier Ware. Ein mangelhaftes Werk löst bestimmte Mängelrechte aus. Diese Rechte kann ein Werbeauftraggeber allerdings verwirken, wenn er entweder
a. das (mangelhafte) Werk ausdrücklich genehmigt;
b. die Prüfungs- und Rügefristen nicht einhält;.
Wenn Mängel geltend gemacht werden, muss vor dem Streit über die angeblichen Mängel geprüft werden, ob Mängelrechte überhaupt noch geltend gemacht werden können, oder ob sie bereits verwirkt sind. Sei es durch Genehmigung, sei es wegen Nichtbeachtung von Prüfungs- und Rügefristen.
Verwirkung durch Genehmigung
Die ausdrückliche oder konkludente Genehmigung des Werkes kann nicht durch den Geschäftsführer, sondern nach den Stellvertretungsregeln auch durch bevollmächtigte Vertreter der Agentur (Sachbearbeiter, Projektleiter etc.) erfolgen. Die Erklärung muss sich an den Unternehmer (Gestaltende Agentur, Fotograph, Künstler etc.) richten. Die Anweisung der beratenden Agentur, des Galeristen oder des Architekten an den Besteller (Werbeauftraggeber), das — unter dem Titel "Kunst am Bau" — hergestellte Kunstwerk zu bezahlen (um ein Beispiel aus dem Kunstmarkt zu nennen), ist keine Genehmigung des Werkes, auch wenn dem Künstler eine Kopie der Anweisung zugestellt worden ist (Gauch Rz 2070). Gleiches gilt, wenn die beratende Agentur eine Rechnung der Druckerei zur Bezahlung freigibt. Das vorbehaltlose Bezahlen einer Rechnung kann indes ein gewichtiges Indiz für die Genehmigung eines offenen Mangels sein (Gauch Rz 2082). Die Genehmigung oder die Bezahlung sollte deshalb im Zweifelsfall immer mit einem Vorbehalt erfolgen: Genehmigt (Bezahlt), unter Vorbehalt von .......
Geheime Mängel
Die Genehmigung schliesst nur "offene Mängel", d.h. solche, die ohne weiteres erkennbar sind, wenn das Werk rechtzeitig und sorgfältig (=ordnungsgemäss) geprüft wird (Gauch Rz 2111ff). Geheime Mängel sind solche, die "bei der Abnahme und ordnungsgemässen Prüfung" nicht erkennbar sind (BGE 117 II 427): es können einfache Folgemängel, qualifizierte Folgemängel oder schlicht-verborgene Mängel sein (mehr dazu in einem folgenden Teil). Diese geheimen Mängel können auch nach der Genehmigung, allerdings nur bis zum Ablauf der vertraglichen oder gesetzlichen Gewährleistungsfrist (nach Gesetz in der Schweiz ein Jahr, Deutschland: sechs Monate) geltend gemacht werden. Bei absichtlicher Täuschung gilt indes eine zehnjährige Frist. Mit andern Worten: Auch nicht erkennbare Mängel können nach Ablauf der gesetzlichen oder vertraglichen Gewährleistungsfrist nicht mehr geltend gemacht werden. Einzige Ausnahme: Nur Mängel, die vom Verkäufer oder Werkhersteller absichtlich verschwiegen wurden (Beweislast trägt der Besteller), können bis zu zehn Jahren nach Vertragsabschluss geltend gemacht werden.
Verwirkung durch Pflichtverletzung
Bei Streitigkeiten aus Werbeleistungen können sich Agenturen oftmals auf den Einwand berufen, Mängelrügen des Werbeauftraggebers seien nicht, nicht hinreichend begründet oder zu spät erfolgt (Beispiel siehe Kasten). In diesem Fall muss gar nicht erst gestritten werden, ob die Leistungen wirklich mangelhaft waren. Es erübrigt sich der Rechtsstreit über den Mangel (BGE 107 II 177). Denn: Wer nicht rechtzeitig prüft und/oder nicht rechtzeitig rügt, verliert die Ansprüche aus Mängelhaftung.
Verwirkung durch Unterlassung der Prüfung
Der Werkbesteller hat eine Prüfungs- und Rügepflicht. Mit beidem kann nicht beliebig zugewartet werden — ganz im Gegenteil. Die Prüfung hat zu erfolgen, "sobald es nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich ist" (Art. 367 OR) und die (darauf folgende) Rüge hat gar sofort zu erfolgen.
Das Gesetz nennt weder zur Prüfung noch zur Rüge klare Fristen. Eine Prüfung hat zu erfolgen, wenn sie objektiv möglich und vernünftigerweise zumutbar ist. Dies hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Der Käufer oder Besteller ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Prüfung einem amtlich eingesetzten oder privaten Sachverständigen zu übergeben. Der freiwillige Beizug eines privaten Gutachters unterbricht aber die Dauer der Prüfungsfrist nicht. Wer hingegen nach Art. 367 Abs. 2 OR Prüfung durch einen amtlich ernannten Sachverständigen verlangt, verhindert, dass die Prüfungsfrist abläuft bis der Befund vorliegt (Gauch Rz 2125).
Verwirkung durch verspätete Rüge
Nach erfolgter Prüfung innert tunlicher Frist, muss sofort gerügt werden. Das gilt für Kaufgeschäfte (Art. 201 OR) wie bei Werk- und Mietverträgen, obwohl dies im Werkvertragsrecht nicht ausdrücklich erwähnt ist (Gautschi Rz 2141, SJZ 96, 2000, S. 545 mit Verweis auf BGE 126 III 226 und Hinweis auf den Grundsatz der "widerspruchsfreien und koordinierten Anwendung der Rechtsordnung"). Sofortige Mängelrüge bedeutet in der Regel Rüge innerhalb von 7 Tagen (innerhalb einer Woche) nach Prüfung bzw. Entdeckung des Mangels (SJZ 96, 2000, 547; BGE 118 II 148). Die Rügefrist beginnt für offene Mängel mit Abschluss der Prüfung und für geheime Mängel mit der "zweifelsfreien Feststellung" (BGE 107 II 175).
Die Pflicht zur sofortigen Mängelrüge ist erfüllt, wenn die Rüge sofort nach ihrer Entdeckung oder Erkennbarkeit eines Mangels erfolgt. Wo der Prüfungsvorgang einige Zeit in Anspruch nimmt, müssen offensichtliche Mängel bereits während des Prüfungsvorgangs gerügt werden (Gautschi Rz 2143).
Form der Mängelrüge
Mängelrügen können nach Gesetz formlos erklärt werden, doch ist an die Beweisprobleme zu erinnern, welche sich bei nicht-schriftlichen Rügen ergeben können. Die Parteien können bei Vertragsabschluss (allenfalls auch über allgemeine Geschäftsbedingungen) vereinbaren, dass Mängelrügen schriftlich unterbreitet werden müssen. Allerdings ist auch in solchen Fällen die Schriftlichkeit kein Gültigkeitserfordernis (Gautschi Rz 2146). Die Übermittlungsart ist ebenfalls frei wählbar. Es muss keine besonders rasche Übermittlungsart gewählt werden. Die Mängelrüge reist auf Risiko des Herstellers, dieser trägt das Zugangs- und Verzögerungsrisiko.
Inhalt der Mängelrüge
Eine Mängelrüge muss substanziiert werden und eine möglichst genaue Beschreibung der Mängel enthalten. Es genügt nicht, bloss die Hauptmängel zu nennen (OR-Zindel/Pulver N 18 zu Art. 367 OR). Haben mehrere Unternehmen den Mangel gemeinsam verursacht (z.B. Werbeagentur, Grafiker, Drucker, Standbauer), muss die Mängelrüge allen Beteiligten gegenüber erhoben werden (SJZ 96, 2000, S. 546). Für die Verantwortung einzelner Personen müssen indes klare Indizien vorliegen. Es kann nicht verlangt werden, dass man aufs Geratewohl rügt mit einem Rundumschlag gegen alle im weitesten Sinn Beteiligten.
Unerlässlicher Inhalt der Rüge ist die Erklärung, den Vertragspartner haftbar zu machen. Der Besteller muss zum Ausdruck bringen, dass er das bestellte Werk (die gelieferte Ware) aufgrund der aufgeführten Mängel "nicht als vertragsgemäss anerkennen und den Unternehmer haftbar machen will" (BGE 107 II 175, Gautschi Rz 2133). Allerdings muss die Haftbarmachungserklärung" nicht in allen Fällen ausdrücklich erfolgen. Es darf vermutet werden, dass die Mitteilung eines Mangels jeweils auch zum Zweck der Rüge und der Haftbarmachung geschieht (Gautschi Rz 2134).
Mängelrüge mit Gutachten
Wo die Prüfung eines mangelhaften Werks durch einen amtlich vom Richter ernannten Sachverständigen oder durch einen Privatgutachter erfolgt, genügt es nicht, dem Verkäufer das Gutachten zuzustellen. Es braucht zusätzlich die Erklärung, dass unter diesen Umständen das Werk nicht vertragskonform sei und der Verkäufer oder Hersteller unter diesen Umständen haftbar gemacht werde. Diese Erklärung kann auch zum Voraus abgegeben werden für den Fall, dass eine Expertise Mängel des Werkes feststelle.
Abweichende Vertragsabreden
Die gesetzlichen Vorschriften über die Prüfungs- und Rügepflichten sind dispositiver Natur, d.h. die Parteien können die Pflichten verschärfen, mildern oder ganz wegbedingen. Für Käufer und Werkbesteller ist es ratsam, auf eine Verlängerung der Rüge- und Garantiefristen hinzuwirken. Der Nachteil allzulanger Rügefristen ist es allerdings, dass der Käufer oder Besteller in diesem Fall denjenigen Teil des Schadens selbst zu tragen hat, der bei unverzüglicher Behebung des entdeckten Mangels hätte vermieden werden können (Art. 99 und 44 OR).
Folgen der Mängelrüge
Mängelhaftung setzt tatsächliche Mängel voraus. Wenn die Agentur, ein Gestalter oder ein Kunstschaffender auf eine Mängelrüge hin nicht reagiert, kann daraus nicht automatisch auf einen Werkmangel geschlossen werden. Allerdings kann Stillschweigen ein Indiz für das Vorliegen mangelhafter Ware sein und damit die Beweiswürdigung des Richters beeinflussen.
Wenn tatsächlich ein Mangel vorliegt, kann der Besteller die verschiedenen Mängelrechte ausüben (Preisminderung, Wandelung, allenfalls Nachbesserung, bei Verschulden auch Schadenersatz). In der Mängelrüge selbst, muss man die Ansprüche noch nicht konkretisieren. Mehr zu den einzelnen Mängelrechten in der nächsten Ausgabe von "persönlich".
Das Bundesgericht zur Mängelrüge:
"Es geht um nachträglich aufgetretene Mängel eines zuvor abgelieferten und abgenommenen Werkes. Für solche Mängel schreibt Art. 370 Abs. 3 OR vor, dass der Besteller sie sofort nach Entdeckung anzeigen muss, andernfalls das Werk auch insoweit als genehmigt gilt. Eine analoge Regelung findet sich in Art. 201 OR für den Käufer. Die Anzeige der Mängel ist an keine besondere Form gebunden. Inhaltlich muss die Rüge sachgerecht substanziiert sein, zumindest die Mängel genau angeben und zum Ausdruck bringen, dass der Besteller das Werk nicht als vertragsgemäss anerkennen und den Unternehmer haftbar machen will ( - )".
"Will der Besteller aus Art. 370 Abs. 3 OR Rechte ableiten, so hat nach der allgemeinen Regel des Art. 8 ZGB er die Rechtzeitigkeit der Rüge darzutun ( - ). Dazu gehört auch der Beweis, wann der gerügte Mangel für ihn erkennbar geworden ist, wie und wem er ihn mitgeteilt hat. Drang Mitte Oktober 1977 bei einer angeblich einsetzenden Schlechtwetterperiode Wasser "in Strömen" durch die Decke, wie der Kläger sich ausdrückte, so war das Dach offenkundig undicht. Die Wahrnehmung dieses Vorganges fiel also mit der Entdeckung des Werkmangels zusammen, und nichts hinderte den Kläger, den Mangel unverzüglich anzuzeigen.
( - ) Ebensowenig hilft dem Kläger, dass der Bauherr gemäss Art. 173 der
SIA-Norm 118 während der Garantiefrist jederzeit Mängelrügen anbringen könne. Nach der verbindlichen Feststellung des Handelsgerichts ist nicht bewiesen, dass die Parteien diese Norm für anwendbar erklärten. Dagegen ist auch mit dem Einwand nicht aufzukommen, die SIA-Normen gälten "als Ausdruck des im Baugewerbe Üblichen" (Auszüge aus BGE 107 II 175).
von Dr. iur. Bruno Glaus